Ralph Quinke (1977)

Die Berliner Free Music Production
Musikalische und gesellschaftliche Emanzipation

„Mitten im Kapitalismus mit den Mitteln des Kapitalismus gegen den Kapitalismus anzuspielen, anzutreten“, so nannte Wilhelm E. Liefland in der „Frankfurter Rundschau“ das musikalische und gesellschaftliche Programm der Berliner Free Music Production. Ästhetische und soziale Emanzipation, gleichermaßen für Kunstproduzenten und Kunstrezipienten, in einer feindlichen kapitalistischen Umwelt zu lernen, zu praktizieren, ist das Ziel der Musiker-Selbsthilfe-Organisation FMP.

Die ästhetische und gesellschaftliche Befreiung ist denkbar schwer, ist doch in einer Klassengesellschaft wie der der BRD Kunst, die den Anspruch hat, nicht nur als reiner Selbstzweck zu existieren, Kunst also, mit der ein Kunstschaffender ein bestimmtes Publikum erreichen will, immer notwendig von kapitalistischen Produktions- und Distributionssystemen abhängig. Musik allgemein, somit auch jegliche Formen von Unterhaltungsmusik (zu der im westlichen Kulturbetrieb auch der Jazz gerechnet wird), bildet da keine Ausnahme.

Der westdeutsche U-Musik-Markt wird von wenigen großen Schallplattenkonzernen beherrscht. Die meisten davon sind Unterabteilungen US-amerikanischer Mutterfirmen (EMI-Electrola, CBS-Columbia und WEA zum Beispiel), andere gehören zu umsatzstarken Buch- und Medienkonzernen (wie Ariola zu Bertelsmann). Das Gesetz der Maximierung des Profits ist auf diesem Markt das allein gültige Gesetz, sind doch diese Firmen ein Teil des kapitalistischen Waren produzierenden Systems. Auch hier gilt wie in der gesamten kapitalistischen Wirtschaft das Recht des Stärkeren. Die Konzernriesen fressen die kleinen Firmen auf, die Tendenz läuft auf immer engere Verflechtung der großen Mediengesellschaften hinaus.

Es versteht sich von selbst, dass die Plattenkonzerne nur an solcher Musik ein Interesse besitzen, aus der sie einen hohen Profit ziehen können, das heißt Musik, die sich verkaufen lässt.

Damit die Schallplattenindustrie einen Markt für den Verkauf ihrer Produkte bekommt, greift sie real vorhandene Bedürfnisse auf und pervertiert diese teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Das grundsätzliche Bedürfnis des Menschen nach Freiheit beispielsweise wird (scheinbar) befriedigt beim Anzünden einer Marlboro.

Das Ensemble der Kultur bestimmenden Kräfte (von den Medien über die Konzerne bis hin zum Staat) unterwirft die kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung dem Gesetz der Profitwirtschaft. Somit wird fast alles, was zur Befriedigung dieser Bedürfnisse dienen soll, kommerzialisiert und damit in sein Gegenteil verkehrt: Statt den kulturellen Bedürfnissen der Mehrheit, genügt es den Profitbedürfnissen einer Minderheit.

Innerhalb dieses kapitalistischen Apparats findet natürlich auch solche Musik ihren Platz, die echte Bedürfnisse real befriedigt oder die progressive Tendenzen vertritt. Der der DKP nahestehende Liedermacher Franz-Josef Degenhardt ist bei der kapitalistischen Deutschen Grammophon unter Vertrag, schwarze Jazzmusiker, deren Musik einen explizit antikapitalistischen Kampfcharakter besitzt, man denke nur an Archie Shepps „Attica Blues“-Platte, die zum Kampf gegen den weißen Unterdrückerstaat aufruft, nehmen Platten bei kapitalistischen Firmen auf. Doch nur so lange wird solche gesellschaftlich fortschrittliche Musik von großen Plattenkonzernen vertrieben, solange sich damit Profit machen lässt. Sinkt die Popularität und damit auch die Rentabilität eines Musikers, so wird er skrupellos fallengelassen.

Neben den großen Profithaien gibt es in Westdeutschland etliche kleine und Kleinstplattenfirmen, deren Programm meist von einer bestimmten Musikauffassung geprägt ist, die im kleinen aber auch kapitalistischen Marktgesetzen unterworfen sind. Hinter diesen kleinen Firmen steckt oft eine idealistische Kunstkonzeption, die eine bestimmte Musik um ihrer selbst willen favorisiert. Paradebeispiel dafür ist Münchener 4-Mann-Firma ECM, deren Chef Manfred Eicher „schöne, harmonische“ Musik produzieren will. Eichers Musikauffassung deckte sich (zufällig?) mit einer Marktlücke, und so hat ECM in den Jahren seit Beginn des Bestehens bis heute eine beträchtliche Umsatzsteigerung zu verzeichnen. Um seine vermeintliche Industrieunabhängigkeit nicht zu gefährden, lehnte Eicher etliche Angebote von Medienmultis, die in der ECM-Musik eine Verwertbarkeit für ihre Profitinteressen sahen, ab. Unterstellt man Eicher die redliche Absicht, die ECM-Platten um der Musik willen und nicht um des Geldes willen zu produzieren, so gelingt es ihm mit seiner Firma dennoch nicht, sich den kapitalistischen Marktgesetzen zu widersetzen, denen sie objektiv ausgeliefert ist. Bei ECM geht die zum Teil vorhandene musikalische Emanzipation nicht mit einer gesellschaftlichen einher. Gesellschaftliche Widerspruch werden auf einer ästhetischen Ebene harmonisiert.

Auf dem Weg, musikalische und soziale Befreiung zu vereinen, ist jedoch die FMP. Aus dem Programm der Kooperative: „Die Free Music Production ist eine Non-Profit-Organisation von Musikern, deren Ziel es ist, zeitgenössischen Jazzmusikern und Komponisten von der kommerziellen Musikindustrie unabhängige Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und durch geeignete Präsentation dem Hörer einen informativen Überblick über die neue Jazzmusik zu ermöglichen. Alle Erträge der Schallplattenproduktionen und Konzerte werden für weitere Projekte verwendet.“

Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Entstehungszeit der FMP in die Jahre 1968/69 fällt, in die Zeit des Höhepunkts der antiautoritären Bewegung, der Massendemonstrationen, der Studentenunruhen und Straßenschlachten in nahezu der gesamten westlichen Welt von Berlin über Paris bis Berkeley. In eine Zeit, in der lautstark der Tod der Kunst verkündet wurde. Tod der Kunst, das hieß Tod der bürgerlichen, der herrschenden Kunst. Tod des verhüllenden Scheins; Tod der Kunst als Selbstzweck. Der Kunst wurde von der neuen Linken nur noch ein Wert als politisches Agitationsmittel zugesprochen.

Der Bruch mit der herrschenden Kulturideologie vollzog sich in den USA bereits zu Beginn der sechziger Jahre. Der Free Jazz entstand dort als Opposition zu den formal und ideologisch verhärteten Formen der vorangegangenen Jazz-Stilrichtungen, seine Entstehungsphase deckt sich mit der Entstehungsphase des Aufbegehrens der schwarzen Minderheit der Vereinigten Staaten - die Freiheit der Musik verstand sich als Antizipation der Freiheit der Gesellschaft.

Natürlich war auch der Free Jazz als eine „Stilrichtung“ in den kommerziellen Musikmarkt integrierbar und für Kapitalinteressen verwertbar. In der Bundesrepublik gehen die Free-Jazz-Anfänge, geht die Protestbewegung im Jazz bis etwa in das Jahr 1965 zurück. Namen wie Albert Mangelsdorff, Manfred Schoof, Gunter Hampel, Peter Brötzmann und Alexander von Schlippenbach prägen das Bild der Anfangszeit des sich befreienden deutschen Jazz. Auch erscheint hier schon bald die eine oder andere Free-Jazz-LP von deutschen Musikern bei einer größeren Plattenfirma (MPS). Doch ist diese Musik nur in kleinen Dosen verwert- und verkaufbar, da sie entschieden gegen die Tingeltangel-Klänge, gegen eingängige Phrasen opponiert. Für die deutschen Free-Jazz-Musiker heißt das, dass nur wenige von ihnen die Möglichkeit haben, bei solch einer Firma zu produzieren und sich damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ein paar der neuen Free Jazzer, unter ihnen der Göttinger Multiinstrumentalist Gunter Hampel und der Wuppertaler Saxophonist Peter Brötzmann, gehen notgedrungen einen für die BRD neuen Weg: Sie produzieren und vertreiben ihre Platten selbst.

Peter Brötzmann beispielsweise ist nicht so leicht in den bürgerlichen Musikmarkt integrierbar. Mitte der sechziger Jahre verkörperte er den „Bürgerschreck“, den Anarchisten, sowohl in seiner Musik wie auch in seinem Auftreten. Er spielte gänzlich frei, hielt sich an keinen Rhythmus und keine Harmonie, er überblies sein Instrument und verausgabte alle seine Kräfte. Sein Auftreten verschreckte den braven Bürger, den bürgerlichen Musikhörer, den frommen, angepassten Jazz-Konsumenten. Brötzmanns Auftreten war gegen die bestehenden Normen - der Musik wie der Gesellschaft - gerichtet. Aus dieser Situation heraus entstanden in Eigenproduktion 1967 und 1968 die Brötzmann-Platten „For Adolphe Sax“ und „Machine Gun“, 1969 die Platte des Berliner Pianisten Alexander von Schlippenbach „The Living Music“, die beide ein paar Jahre später auch ins offizielle FMP-Programm übernommen wurden. 1969 wurde dann auch die Free Music Production ins Leben gerufen.

Doch auch im Jahre vorher, 1968, gab es einige Aktivitäten der späteren FMP-Musiker. Eine gewichtige Rolle spielt dabei das erste „Total Music Meeting“, 1968 zum ersten Male als Alternative zu den Berliner Jazz Tagen konzipiert. In der Philharmonie im offiziellen Jazz-Tage Programm traten in der Hauptsache die etablierten Jazz-Stars auf, hier die neue bundesdeutsche, englische und US-amerikanische Avantgarde; dort die steife Etikette, hier die gelockerte Atmosphäre; dort die Bühne, die fest eingebauten Sitzreihen, das versteifte Musiker-Publikum-Verhältnis, hier in der Bierkneipe „Quasimodo“ neue Spielformen, neue Hörformen, dort die angepasste Musik, hier die neue, die opponierende, die vorwärtstreibende. Eine ähnlich konzipierte Veranstaltung wie das Total Music Meeting fand auch schon im Sommer zuvor statt. In einer Tiefgarage in Köln hielten die Musiker um Schlippenbach und Brötzmann ein Alternativkonzert zum etablierten „Jazz am Rhein“ ab. Eine spätere Veröffentlichung der FMP brachte das auf den Begriff: Abbau der elitären Konzerthaltung.

Die Opposition gegen den bürgerlichen Kulturbetrieb auf der einen Seite, der ökonomische Zwang für einige Musiker, deren Verwertbarkeit für bestimmte musikverlegerische Interessen nicht gegeben war, für die aber dennoch die Notwendigkeit bestand, von ihrer Musik zu leben, auf der anderen Seite konkretisierten sich schließlich im Sommer 1969: die Free Music Production wurde gegründet.

Die FMP war von Anfang an nach genossenschaftlichen Prinzipien organisiert. Als Geschäftsträger fungierten zu Beginn die Musiker Peter Brötzmann, Peter Kowald, Alexander von Schlippenbach und Detlef Schönenberg und der Produzent Jost Gebers, früher selbst aktiver Musiker, der die Konzerte des Avantgarde-Kreises in Berlin, so auch das Total Music Meeting 1968, organisiert hatte. Von Anfang an verstand sich die FMP nicht als eine pluralistische Organisation, sie wollte keine Produktionsfirma sein, die Musiker unterschiedlicher Stilrichtungen integriert, die Überblicke schafft oder sich modischen, verkaufsträchtigen Tendenzen unterwirft. Von Beginn an wurde die Linie der FMP genauestens bestimmt: Man legte sich fest auf akustische, freie Musik; frei vor allem von gesellschaftlichen Zwängen, verkaufen zu müssen. Man nahm sich vor, „mit minimalem Kapital- und Personaleinsatz ein Maximum“ der Vermittlung neuer Jazz-Musik zu erreichen.

1969 nahm die FMP ihre erste Platte auf, „European Echoes“ von Manfred Schoof, 1970 folgte die zweite LP „Balls“ von dem Trio Brötzmann, Van Hove, Bennink. 1971 ein Dreifachalbum von Brötzmann, Van Hove, Bennink und Albert Mangelsdorff,. Im Moment steuert die Produktion der FMP auf ihre 40. Platte zu.

Abgesehen von den Plattenveröffentlichungen sind die Aktivitäten der Free Music Production hauptsächlich auf die Veranstaltung von Konzerten und kontinuierlichen Konzertreihen gerichtet. Neben dem jährlich stattfindenden Alternativprogramm zu den Berliner Jazz Tagen, dem „Total Music Meeting“, welches seit ein paar Jahren in dem zur Kneipe umgebauten ehemaligen Kino „Quartier Latin“ abläuft, veranstaltet die FMP Jahr für Jahr ein ganze Reihe von Konzerten, darunter den „Workshop Freie Musik“ über die Osterfeiertage in Berlin, den Free Jazz Workshop in Wuppertal und beispielsweise eine Konzertreihe im Rathaus Charlottenburg in Berlin. Auf all diesen Konzertveranstaltungen treten aber nicht nur FMP-Musiker auf, sondern auch solche Künstler, die ähnliche Musikauffassungen vertreten und zum Beispiel auch solche, die ähnlichen Organisationen wie der FMP im Ausland (Incus in England, Instant Composers Pool in Holland) angehören. Die Programme dieser Veranstaltungen werden ausschließlich von Musikerkommissionen ausgearbeitet.

In den „Konzerten“ wird das Konzept des ersten „Total Music Meetings“ beizubehalten versucht, es wird eine der Musik entsprechende Atmosphäre geschaffen. Lose Bestuhlungen, kein traditionelles Musikproduzent-Musikrezipient-Verhältnis, die Möglichkeit, während des Auftritts eines Musikers oder einer Gruppe den Ort der Handlung zu verlassen oder neu hinzuzustoßen, die Möglichkeit, nebenbei ein Bier zu trinken, ein Schwätzchen zu halten, aber auch die Möglichkeit, die Musik ohne Distanz, hautnah mitzuerleben, das alles charakterisiert die FMP-„Konzerte“. Auch veranstaltet die FMP offene Workshops, bei denen Zuhörer den Entstehungsprozess der Musik direkt miterleben können, sich zum Teil auch selbst aktiv daran beteiligen können.

Nicht nur die Musiker haben somit die Möglichkeit, sich durch ihre Musikformen zu emanzipieren, auch dem Hörer werden auf diese Weise neue Hörmöglichkeiten eröffnet: Befreiung aus den Zwängen des traditionellen, des bürgerlichen, des einengenden Konzertsaals. Befreiung der Musiker durch die Organisationsform der FMP: Der Weg weist tendenziell auf unentfremdete Arbeit hin - Antizipation einer besseren Gesellschaft in der kapitalistischen Unterdrückergesellschaft.

Den Schallplattenaufnahmen der FMP steht eine andere Funktion zu als herkömmlichen Plattenproduktionen: Sie sind Momentaufnahmen aus einem Prozess, in dem die Musik sich befindet. Im Prinzip wird hier der Unterschied zwischen Studio- und Live-Aufnahme aufgehoben.

Die oben schon im Zusammenhang mit der Konzertaktivität genannte Kooperation der FMP mit anderen, annähernd gleiche Ziele verfolgenden ausländischen Organisationen geschieht auch noch auf anderen Ebenen: Die FMP vertreibt Platten von den verschiedensten Musikerorganisationen, Kleinstplattenfirmen und auch Eigenproduktionen einiger Musiker. Das gesamte Vertriebsprogramm der FMP umfasst mittlerweile einige hundert Titel.

Kontakte bestehen auch von der FMP aus zu Free-Jazz-Musikern aus der DDR. Drei Platten nahm Jost Gebers in der DDR auf, die innerhalb des FMP-Programms veröffentlicht worden sind. Zwei LPs produzierte er mit dem Saxophonisten Ernst-Ludwig Petrowsky, eine mit dem Gumpert-Sommer-Duo. Allerdings ist es der FMP trotz intensiver Bemühungen bisher nicht gelungen, diese Musiker auch im Westen auftreten zu lassen.

Dazu Gebers: „Wir versuchen seit 1973 permanent, Leute aus der DDR rüberzuholen. Das ist alles ein bisschen merkwürdig mit den Überlegungen dieses Staates drüben. Einmal sagt man, die Leute können alle ausreisen und riesige Konzerte machen, und am nächsten Tag gibt es überhaupt keine Ausreise mehr. Es ist dann aber für uns nicht einsehbar, warum. Weder die Ausreise noch der Stop.“ Dagegen sind schon des öfteren FMP-Musiker in der DDR aufgetreten - mit durchweg gutem Erfolg. Auch werden die FMP-Platten relativ oft im DDR-Rundfunk gespielt.

Bei der Gestaltung der Covers der Platten der Free Music Production fällt jeglicher Verzicht auf Warenästhetik auf. Die Hüllen sollen nicht als Schein fungieren, sollen nichts suggerieren, keine Erwartungen wecken, die dann nicht erfüllt werden. Auf dem Plattenumschlag sollen ausschließlich knappe Informationen über das gegeben werden, was auf der Platte enthalten ist. Die Musiker bestimmen dabei die Covergestaltung ebenfalls selbst, entwerfen die Hüllen zum großen Teil in Eigenregie. Auch hier also der Verzicht auf kapitalistische Mechanismen.

Nach Angaben von Jost Gebers sieht die finanzielle Situation der Free Music Production nicht besonders rosig aus: Zwar konnte man sich inzwischen seit der FMP-Gründung eine eigene, qualitativ hochwertige Aufnahme- und Verstärkerapparatur anschaffen, auch wurde ein Büro gemietet und ein Sekretär eingestellt, der Vertrieb wurde einem kapitalistischen Plattenunternehmen, dem Bellaphon-Importdienst, übertragen, dennoch sind die Einkünfte aus den einzelnen Plattenprojekten äußerst gering, die Konzertreihen zum großen Teil ein Zusatzgeschäft. Wieder Gebers: „Von Profit kann bei uns überhaupt keine Rede sein. Wir haben von 1972 bis 1973 grob einen Verlust gemacht von 6000 Mark, wir haben 1974 einen Verlust gemacht von ungefähr 12000 Mark, und wir haben 1975 einen Verlust von über 30000 Mark gemacht. Das sind ziemlich exakte Zahlen. In diesen Verlustrechnungen sind noch nicht einbezogen einige Honorare für Musiker in Höhe von rund 50000 Mark, die noch nicht bezahlt sind. Noch mal 50000 Mark haben verschiedene Privatleute bei uns ’reingesteckt. So stehen wir also ziemlich im Minus. Das ändert sich auch nur sehr langsam.“

Zurzeit sind ziemliche Umwälzungen in der Organisationsstruktur der FMP im Gang. Die Mitgliederzahl der Genossenschaft soll angehoben werden, eine stärkere Trennung der Plattenfirma FMP von der Firma, die die Konzerte veranstaltet, soll erfolgen. Es ist geplant, für die Plattenfirma einen relativ kleinen Kreis von vier Musikern mit einzubeziehen, während die Kompetenzen für die Konzerte wesentlich mehr Musikern übertragen werden sollen.

Musikalisch aber wird sich wohl auch in der Zukunft bei der FMP nichts ändern. Doch genau darin liegt ein gewichtiges Problem der Free Music Production: Der freie Jazz hat sich seit Mitte/Ende der sechziger Jahre bis heute entscheidend weiterentwickelt. Die musikalischen Formen haben wie die Kampfformen gegen Unterdrückung sich von der bloßen ziellosen Opposition zu konkreteren (Kampf)formen hin entwickelt, sie sind überlegter geworden. Der schwarze Saxophonist Archie Shepp beispielsweise, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre einer der kompromisslosesten Free-Jazz-Musiker und wie Brötzmann damals „Bürgerschreck“, besann sich auf überlieferte, progressive Traditionen des Blues und der Gospel-Musik und integrierte diese in sein Spiel, das dadurch an konkret-kämpferischer Form stark dazu gewonnen hat. Die FMP-Musik dagegen ist heute zum großen Teil immer noch so frei, so chaotisch frei, wie vor acht oder neun Jahren, auch wenn sie sich innerhalb dieser Freiheit weiterentwickelt hat. Es wäre jetzt aber an der Zeit, von diesem inzwischen erstarrten Konzept des Frei-Spielens, das sich zum Dogma verhärtet hat, loszukommen, sich auf die aktuellen Ziele zu besinnen und diesen Zielen adäquate Formen zu finden und weiterzuentwickeln. Dann könnte die im Moment etwas anachronistisch gewordene Musik des FMP-Kreises die immer noch progressive Organisationsform wieder einholen.

aus: Musik und Bildung # 10, 1977

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Die Copyrights liegen jeweils bei den genannten Quellen und/oder bei den Autoren.

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