18. September 2011

News 27 (Begrüßung)

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Nele Hertling

Begrüßung
zum Konzert „Full Blast“ und zur Preisverleihung an Peter Brötzmann

Liebe Gäste, Freunde, Kollegen, lieber Manfred Schoof, sehr geehrter Markus Müller,
ich begrüße auch Herrn Dr. Brandhorst und Herrn Dostal, vor allem aber mit besonderer Freude Peter Brötzmann mit den Musikern des heutigen Abends Marino Pliakas und Michael Wertmüller und auch - Jost Gebers.

Mit dem heutigen Konzert kehrt Peter Brötzmann zurück an diesen Ort, die Ausstellungshallen der Akademie der Künste, an dem eine lange und fruchtbare und vor allem unvergessliche Zusammenarbeit vor mehr als 40 Jahren begann.

Der Raum für John Cage - mit dem die Akademie einen anderen großen Musiker ehrt, vom 99.Geburtstag in diesem Jahr bis zum 100. am 5. September 2012 - bietet den Rahmen für diese Wiederbegegnung - und nicht zufällig.

Nach Eröffnung des Hauses am Hanseatenweg 1960 begann die Abteilung Musik 1963/64. mit ihrer Reihe „Konzerte im Studio“. Man nahm sich hier der Konzertplanungen an, die Agenturen meist vernachlässigten.“ Es wurde dabei versucht, außergewöhnliche Programme mit Werken aus Vergangenheit und Gegenwart zusammen zu stellen, um auf diese Weise musikgeschichtliche Entwicklungen und aktuelle Prozesse zu verdeutlichen.“, heißt es in einer Publikation der Akademie „Die tägliche Arbeit“ 1970 - 79. Und weiter: „Neben der Konzertreihe gehört der „Workshop Freie Musik“ zu den regelmäßigen Veranstaltungsreihen der Abteilung in Zusammenarbeit mit der FMP. 1969 zum ersten Mal in der Akademie vorgestellt, hatte dieses kleine Festival von Anfang an interessierte und begeisterte Zuhörer, wurde aber von der Presse zunächst nur am Rande wahrgenommen. Inzwischen jedoch findet diese Reihe in jedem Jahr auch international große Beachtung. (…) Von Anfang an wurden auch die Musiker aus diesem Bereich an der Arbeit mit Kindern beteiligt und auch im Modellversuch, den die Abteilung Musik durchführte, spielte der Einsatz von Jazzmusik in Schulen und Freizeitheimen eine wichtige Rolle.“

So war seit Mitte der 60er Jahre die Akademie ein Ort der lebendigen Begegnung mit den neuen und aufregenden Strömungen der Musik in all ihrer Vielfalt. Und wurde so auch vom Publikum angenommen.

In einem Text von Wolfram Knauer zu der großen Dokumentation der FMP „Im Rückblick 1969 - 2010“ heißt es:
„Es gab eine Zeit, in der Musik zugleich ein philosophisches Manifest war, helfen sollte, das Denken zu verändern. Es gab eine Zeit, in der lange und komplexe Improvisationen nicht abschreckten, sondern anspornten. Die Musik war auch damals verbunden mit dem Äußeren, mit den Räumlichkeiten etwa, in denen die Konzerte stattfanden, mit den Gesprächen, die sich um sie rankten, immer mit der Kommunikation , die zwischen Musikern und Publikum möglich war, die die Künstler im wahrsten Sinne des Wortes anfassbar machte“.

Und dies gelang in ungewöhnlicher Weise hier oben, in diesen Hallen, wo über viele Jahre der Workshop Freie Musik die spannendsten Musiker und Gruppen zusammen brachte und eine kontinuierliche Entwicklung ermöglichte.

Dies gelang durch die Unterstützung dieses Hauses - auch das sei gesagt, denn so selbstverständlich war das in den Anfangsjahren nicht -, die Akademie gab den Musikern, allen voran dem Initiator Peter Brötzmann, mit seinem Mitstreiter und Freund Jost Gebers die uneingeschränkte künstlerische und organisatorische Freiheit.

Lassen Sie mich aus einem Artikel von Hellmut Kotschenreuther aus dem Tagesspiegel vom 30. 3. 1973 zitieren:
„Der „Workshop Freie Musik“ hat sich in 5 Jahren etabliert, hat seinen Stil, seine Präsentationsform und sein Publikum, ein sehr waches noch dazu, gefunden. Zum 5. Mal hocken die jungen Leute auf dem bloßen Holzboden vor dem provisorischen Podium in der großen Ausstellungshalle der Akademie der Künste und nutzen die mehrtägige Informationsmöglichkeit über freie improvisierte Musik (…) Werkstattatmosphäre herrscht in der gar nicht akademischen Akademiehalle, völlige Ungezwungenheit und eine Erwartungsbereitschaft, die auch das noch Unausgegorene, das noch nicht voll Artikulierte, das bloß Anarchistische duldet (…) Das Trio Brötzmann/Van Hove/Bennink wird auf dem Programmzettel mit der Bemerkung: „auch hier jeder Kommentar überflüssig“, avisiert. In der Tat so ist das: die Intensität von Klang und Ausdruck, die Brötzmann seinen Saxophonen abringt und abmartert, gewinnt jenseits aller Fragen nach Melodik, Rhythmik und Harmonik geradezu den Rang eines selbständigen Kriteriums. Was hier erklingt, ist die Montage dreier musikalischer Psychogramme, ist faszinierend und enervierend zugleich.“

Und ich möchte Ihnen auch den Auszug aus einem Bericht über einen Workshop der Musiker mit Kindern - zu dieser Zeit wirklich noch ungewöhnlich - nicht vorenthalten:
„Ein Hund, einer von der Sorte, die bei aller Liebe weder Stammbaum noch Adel erkennen lässt, kroch mit eingezogenem Schwanz durch den Wald von Beinen: ihm hatte es das Bellen verschlagen.
Kein Wunder: Die orgiastische Lärm-Libertinage in der Akademie der Künste beeindruckte nicht nur Vierbeiner. Peter Brötzmann & Co. und Trompeten-Eleve Don Cherry hatten zum Kinder Konzert gebeten. Und alle. alle kamen.
(…) Hier können Familien Töne machen, diese Aussicht hatte ganze Völkerscharen auf die Beine gebracht. (…) Freie Musik so spontan und impulsiv, traf nicht nur den Nerv der Erwachsenen - auch die Kinder zeigten sich interessiert. Die Jazz-Jüngsten erinnerten sich ihrer Mitbringsel und griffen in das Geschehen ein, erklommen das Podium und belagerten ihre Anreger (…)
Chaotisch das Finale: Nach 60 Minuten Dauer-Fortissimo streiften die Jungmusiker die Fesseln eines organisierten Festes ab - Dynamik wich Motorik. Man schlug auf jedes Trommelfell, blies in jedes Rohr. Hieb auf jedes Becken. Ein Höllenlärm.
Als schließlich ein Akademiewärter die Letzten vom Podium scheuchte, gab’s Tränen: Eine Mutter unterstrich das Finale mit einer pädagogisch platzierten Maulschelle und eine linke Trotzkistin ereiferte sich über die repressive Veranstaltung. Unnötigerweise.“
Klaus Wienert in Der Abend, Berlin, 1.3. 1971

Der Umgang mit Freiheit, mit „Free Music“ musste offensichtlich gelernt, kreative Unruhe und Missverständnisse bewältigt werden.

Schon beim 1. Workshop 1969 unter dem Titel „Three Nights of Living Music and Minimal Art“ war es fast zu ernsthaften Schlägereien gekommen , als das Publikum - zum Teil irritiert von der Musik des Schlippenbach Nonetts, zum Teil in der falschen Annahme, zum Mitmachen aufgefordert zu sein, auf den ausgestellten Kunstwerken zu trommeln begann.

Die Workshops waren immer auch ein Abbild ihrer Zeit, der drängenden Veränderungen in Gesellschaft und Kunst. Hier wird die Einbindung des diesjährigen “Workshops Freie Musik“ in dem Cage Zusammenhang noch einmal sinnvoll.

In der Erinnerung an die vielen Jahre der intensiven, einvernehmlichen und damit auch so fruchtbaren Zusammenarbeit mit der FMP, mit Jost Gebers und seinen Mitstreitern vor allem mit den großartigen Künstlern, bedeuten die langen Nächte in diesen Räumen ein Gefühl, ja doch, von Freiheit, von Risikobereitschaft und auch das - von Freundschaften.

Dafür steht vor allem Peter Brötzmann, der heute hier geehrt wird, als Repräsentant der vielen Musiker, die hier um ihn herum zusammen kamen, um mit ihrer Musik ein Publikum zu faszinieren.

Dass diese Faszination noch immer lebendig ist, wird das Konzert heute zeigen, Peter Brötzmann im Zusammenspiel mit zwei Musikern der nächsten Generation, Marino Pliakas und Michael Wertmüller und auch die Workshops der folgenden Tage, zu denen sich zahlreiche junge Musiker angemeldet haben.

Herzlichen Glückwunsch zu dem Preis, Peter Brötzmann und Ihnen allen viel Vergnügen mit der Musik, die Sie heute hören werden.

aus: Redemanuskript Nele Hertling, 18. September 2011 (mit Dank)

Marino Pliakas, Michael Wertmüller, Peter Brötzmann

Fotos: Dagmar Gebers (2011)