Markus Müller (1992)

Interview Jost Gebers

Gerade eben ist das 25te Total Music Meeting zu Ende gegangen. 25 Jahre Musik, die nicht müde wird zu begeistern, zu schockieren, zu polarisieren, zu sensibilisieren, zu politisieren, zu ästhetisieren: diese Musik ist Musik über das Vermögen unserer Sinne. Jost Gebers ist der Mann, der sie seit 1968 vermittelt.

 

Markus Müller: Man kennt dich als Vermittler, sei es als Veranstalter von Festivals wie dem Total Music Meeting, oder als Kopf der Plattenfirma Free Music Production, als einen der wichtigen Motoren der Frei Improvisierenden Musikszene. Ursprünglich bist du aber, wie komischerweise auch Manfred Eicher, Bassist. Wie, wann und warum hast du die Lager gewechselt, beim ersten Total Music Meeting 1968 und auch danach hast du ja des Öfteren noch selbst mitgespielt?

Jost Gebers: Anfangs habe ich, also auch schon vor dem Total Music Meeting 1968, nicht nur einfach so mitgespielt, sondern eben auch Sachen organisiert. Natürlich um selber zu spielen, aber eben auch, um Kollegen nach Berlin zu holen, um mit denen spielen zu können, beziehungsweise sie spielen zu hören. Es gab einen Vorläufer zum Total Music Meeting, eine Geschichte, die in Köln in einer Tiefgarage lief, alternativ zu der etablierten Klüngelszene, die von den Rheinländern, also Schoof, Alex (von Schlippenbach) , Brötzmann organisiert wurde. Der eigentliche Auslöser für die erste Veranstaltung in Berlin war - und heute kann ich das ja sagen, früher durfte man, früher wurde da einfach nicht drüber geredet - die Ursache war, wenn ich mich recht erinnere, dass Brötzmann mit einer größeren Gruppe bei den Jazztagen spielen sollte und von Berendt dazu vergattert wurde, in dunklen Anzügen aufzutreten. Was Brötzmann natürlich abgelehnt hat, weil er zwar mit einem dunklen Anzug hätte kommen können, aber natürlich nicht garantieren konnte, dass seine ganzen Leute auch mit dunklem Anzug erscheinen würden. Das war der letzte Knackpunkt und wir sagten dann, na, Scheiße, lass uns doch irgend so ein Ding mal alleine machen. Ich war in diesem Jahr in London gewesen, wo wir auch schon über die Möglichkeit eines Festivals gesprochen hatten, und so kam eins zum anderen und wir beschlossen tatsächlich, das Ding zu machen. Wir hatten dann auch einen guten Laden, eine unglaublich gute Diskothek am Kudamm, die dann aber 14 Tage vorher Pleite gemacht hat. Deshalb sind wir im Quasimodo gelandet, auch weil ich Leute kannte, die das machten. Das war's. Es ging natürlich auch von vorneherein darum, bestimmte Sachen anders zu machen. Bei den Jazztagen standen halt oft irgendwelche Lottokapellen auf der Bühne, die der Berendt zusammengestellt hatte, und dazu hatte natürlich überhaupt keiner Lust. Wir wollten vor allem die Möglichkeit bieten, dass sich feste Konstellationen so präsentieren konnten, wie sie halt arbeiteten. Es gab dann sehr schnell auch offene Konstellationen, denn das sprach sich natürlich in Windeseile herum, die Morgenstunden in dem Laden waren schon prima. Alle kamen aus der Philharmonie und wollten noch was machen, das war klar. Und schon damals habe ich ganz früh sehen können, wie unterschiedlich die Europäer und die Amis arbeiteten. Ein Wahnsinnsding zum Beispiel: Sharrock und Pharaoh Sanders spielten da drüben, bei den Jazztagen, die kamen rüber und wollten eine Session spielen, prima. Dann standen auf der Bühne Brötzmann, Evan (Parker), Trevor Watts, nee, Brötzmann war nicht dabei , wer noch?...Kowald mit Sicherheit, irgendein Trommler und Sanders und Sharrock. Erstmals war von Sanders, gegen die beiden Anderen, an die ich mich definitiv erinnere, also Trevor und Evan, da war nichts zu hören. Es gab ja keine PA oder so etwas. Es wurde akustisch gespielt. Sharrock mühte sich ab, das Niveau über irgendwelche Riffs runterzudrücken, damit man endlich mal was von Sanders hörte, und am Schluss stand der da und dirigierte das Ganze, damit Sanders mal zum Tragen kam. Gut, das war schon sehr komisch. Und da ist auf einen Schlag klar geworden, was da - zumindest damals - für Welten dazwischen lagen. Das da bei aller Freiheit oder wie immer man das nennen möchte, in sehr kleinen Kästchen gedacht wurde und bei den Europäern sehr locker, so im Sinne von: Wir machen's, gearbeitet wurde.

Markus Müller: Und bei dieser ersten Veranstaltung im Quasimodo warst du Mitveranstalter?

Jost Gebers: Da habe ich auch noch versucht, zu spielen. An zwei Abenden habe ich das gemacht, aber dann wurde die Kasse geklaut, die Karten wurden geklaut und dann dachte ich, das geht jetzt nicht mehr .Jetzt muss du dich wirklich aufs Organisieren konzentrieren und dann hat Kowald meine ganzen Parts gespielt. Wir haben dann auch noch ein Ding mit zwei Bässen gespielt, aber ich habe schon sehr drastisch gemerkt, dass Beides zusammen nicht so sehr gut geht.

Markus Müller: Du sagst das mit einer gewissen Gelassenheit. Man könnte sich aber vorstellen, dass das für dich ein kreatives Problem war.

Jost Gebers: Ja, Moment, zu diesem Zeitpunkt war ja überhaupt nicht absehbar, dass es irgendwann FMP geben würde. Zu dieser Zeit war ich in Personalunion irgendein Bassspieler, der irgendeine Sache organisiert hat. Und das ein halbes Jahr später in der Akademie eben auch, mit ähnlichem Erfolg, denn ich kam auch da nicht mehr zu Spielen, weil irgendwelche Leute anfingen, die wunderbare Kunst dort zu zerdreschen, weil sie unbedingt Alexis Korner hören wollten und nicht irgendeine Kapelle vom Schlippenbach. Das waren zwei Erfahrungen, die mir ganz deutlich machten, dass man diese beiden Sachen nicht zusammenmachen kann. Dass man entweder das Eine macht oder das Andere macht. Und 1969 habe ich dann tatsächlich aufgehört, zu spielen und dann kam der Entschluss, OK, jetzt machen wir mal was. Erst danach entstand FMP. Natürlich hatte das jeder schon im Kopf. Jeder wusste - so nicht, man müsste - das geht so nicht. Und die heutigen Möglichkeiten lassen sich natürlich überhaupt nicht mit der damaligen Situation vergleichen. Heute gibt es Massen von kleinen Organisationen, die immer irgendwas machen, und man hat natürlich auch sehr viel schneller die Möglichkeit, in Bereiche zu kommen, die einem ermöglichen, mal eine Platte zu machen, wie man sie sich selber vorstellt. Damals war das anders, da war es für jeden eine unmittelbare, existentielle Frage, und natürlich dachte man, verdammte Scheiße, ja klar muss ich ´ne Platte aufnehmen. Brötzmann hat sie eben selber gemacht, seine ersten beiden Sachen, ´67 Adolphe Sax und ´68 Machine Gun. Und abgesehen vom Machen, das kann heute auch jeder, gibt es natürlich das Problem, das Zeug zu vertreiben. Und an diesem Problem kristallisierte sich deutlich heraus, dass wir etwas machen müssten. Und erst danach entstand FMP. Konkret im Spätsommer 1969.

Markus Müller: Und dann habt ihr euch als Musikerkollektiv definiert…

Jost Gebers: Ja, so …

Markus Müller: …und eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet…

Jost Gebers: …ach, da hat doch überhaupt keiner drüber nachgedacht. Wir saßen alle zusammen, jeder hat seinen Senf dazu gegeben und dann haben wir gesagt: Gut, jetzt lasst uns mal machen. Und dann ergab sich die Möglichkeit, die Bänder dieser Bremer Geschichte zu bekommen, das Schoof-Orchester, Eurepean Echoes, und wir dachten, OK, da sind alle dabei, machen wir ´ne Platte. Das Resultat war eine große Aufbruchstimmung, große Euphorie. Natürlich, weil jeder dachte, wunderbar, wir haben jetzt eine Organisation, jetzt geht es furchtbar los. Es ging natürlich gar nichts los. Es ging erstmal nach hinten los. Schön, du hast zwar 500 Platten, aber die musst du erstmal verkaufen. Und du hast eine Idee, die musst du dann auch umsetzten. Es kam also ein riesige Durststrecke und natürlich stiegen einige dann wegen der ausbleibenden Möglichkeiten auch rasch wieder aus. Und blieben weg, mit Ausnahme von Brötzmann. Der wohl der einzige war, dem bewusst war, außer mir natürlich, dass man einige Zeit warten muss, bis überhaupt ein Feedback passieren kann.

Markus Müller: Wie kam es dann überhaupt zur zweiten Produktion?

Jost Gebers: Die zweite Produktion, das ist eine gute Story. Aber, ich muss eins dazu sagen, zu diesen Geschichten gehört natürlich auch ein spezielles Umfeld, das man im Kopf haben muss. Wir hatten ja dieses 68er-Glück. Dass eh angeblich Revolution war oder was ähnliches. Das ebbte in Öffentlichkeit zwar schnell wieder ab, aber es gab bei verschiedenen Leuten geschärfte Sinne. Unter anderem eben bei Schreibern, Musikwissenschaftlern und so weiter, die sich plötzlich mit unserem Zeug auch auseinandersetzten. Es gab die Überlegung, eine Platte mit dem Brötzmann-Trio aufzunehmen, so war das. Ich organisierte also, wie soll ich sagen, einen uns nicht mit Abwehr gegenüberstehenden Menschen beim Rundfunk, beim SFB, und fragte: Können wir nicht mal eben so? Das war natürlich nicht legal. Der wollte sich trotzdem darum kümmern. Jetzt musste noch das Reisegeld beschafft werden, die Gruppe musste also noch irgendwo spielen und das wurde mit einer ganz normalen Kneipe am Richard-Wagner-Platz klargemacht. Und da wurde aber gerade eine riesige U-Bahn-Strecke neu gebaut, und genau diese Kneipe wurde von den Bauarbeitern frequentiert. Wir hatten also schon ein komisches Gefühl, als wir diese Typen da am ersten Tag in ihren Klamotten sahen. Es wurde gespielt. Han (Bennink) spielte ein Solo und ich stand in dem Bereich, ja, Bühne kann man das ja nicht nennen, ich stand da also so in diesem Bereich und mir drosch einer auf die Schulter und brüllte mir ins Ohr: Der ist ja viel besser als Buddy Rich. Jetzt musst du dir vorstellen, ich war um die 30, der Typ war für mich steinalt, so um die 50, dass der überhaupt wusste, wer Buddy Rich ist, und dass der das auch richtig zusammenbrachte, ob jetzt besser oder schlechter ist ja egal, fand ich ganz toll. Das Ganze wurde allerdings von der Polizei abgebrochen, weil draußen eine Frau im Nachthemd herumrannte, die schlafen wollte. Die hatte in ihrer Wohnung nebenan einen Einbauschrank, der wie ein Resonanzkörper wirkte. Das heißt, wenn die anfingen zu spielen, fiel die Frau aus dem Bett. Nächsten Tag sind wir mit viel Milch ins Studio. Wir hatten aber einen sehr guten Tonmeister, der anfing umzustecken und so was, und aus dem Mono-Studio ein Stereo-Studio machte. Und wollten jetzt eine ganz ruhige, abgeschlossene Studioproduktion machen. Das klappte anfangs auch ganz gut. Dann ist dieser Typ vom Rundfunk allerdings - und denk dran, wir machten das ja illegal - in dem ganzen Haus rumgerannt, hat die Leute angesprochen und gesagt, sie sollten mal mitkommen, da wären ein paar völlig Verrückte im Studio. Und auf einmal war das ganze Studio voll mit Leuten. Da standen Massen von Leuten und hörten sich das an und wir hatten Fracksausen, das vielleicht auch mal jemand von den Oberen hören kommen würde. Vier Wochen später, da war die Platte dann schon raus: Balls, das war unsere schnellste Produktion überhaupt. Dann ging es in schöner Regelmäßigkeit weiter. Wir machten jedes Jahr mit Unterstützung der Akademie der Künste den Workshop, und auf eigene Kappe, mit eigenem Geld oder mit gespendetem Geld das Total Music Meeting. Wobei damals eine Spende etwas anderes war als heute etwa das Sponsoring. Da gab es zum Beispiel eine Zahnärztin aus Travemünde, die immer im Oktober 2.000 Mark schickte und dann auch da war, mit der ganzen Familie und in der ersten Reihe auf dem Tisch stand. So. Das waren Freunde, die das Geld gegeben haben. Es gab Leute, die bei den Jazztagen spielten und die Gage mit rüberbrachten, damit jemand bei uns spielen konnte.

Markus Müller: Wer hat denn anfangs entschieden, wer welche Platte aufnimmt und wer so auftritt?

Jost Gebers: Zunächst alle. Nach European Echoes sind dann auch alle ganz schnell zurückgetreten und es blieben eh nur Brötzmann und ich übrig. Deshalb sind die ersten vier Produktionen Brötzmann-Produktionen. Danach wurde eigentlich immer gemeinsam drüber -wir haben uns immer in Wuppertal getroffen, jeder konnte sich daran beteiligen und wir haben drüber gesprochen. Das endete regelmäßig im Chaos, weil klar war, dass jeder spielen wollte. Logisch. 1976 haben wir dann diese Struktur aufgelöst, weil allen klar war, dass es so nicht ging.

Markus Müller: Aber dann wart ihr ja ein paar Jahre lang richtig basisdemokratisch.

Jost Gebers: Ja, mit schöner Regelmäßigkeit haben wir überlegt: Wer spielt? Wer da war, hat mitgeredet. Es gab allerdings keine Einladungskarten gedruckt. Man wusste einfach, dass wir uns irgendwann an einem langen Wochenende in Wuppertal treffen würden.

Markus Müller: Wie haben sich in dieser Zeit die verschiedenen organisatorischen Aufgaben entwickelt? Wie war das arbeitstechnische Verhältnis zwischen der Organisation FMP, der Workshops, die Organisation des Total Music Meetings?

Jost Gebers: Man muss zwei Dinge wissen. Die Organisation lag immer in Berlin, das habe immer ich gemacht. Der ganze Vorlauf ist gemeinsam gemacht worden. Zu bestimmen, wer mit wem warum spielt und wer dazu eingeladen wird, war eine gemeinschaftliche Entscheidung. Es gab dann bestimmte individuelle Beteiligungen, so hat Brötzmann natürlich immer sein Cover gestaltet, Hans auch, andere haben das abgegeben. Brötzmann hat viele der Plakate gemacht.

Markus Müller: Aber bei einer Plattenproduktion hast du gesagt, wie es zu klingen hat? Gab es eine bestimmte Ästhetik, wie sie zum Beispiel den Eicher-ECM-Produktionen nachgesagt wird?

Jost Gebers: Nein, nein, alles gemeinsam. Als Beispiel: Die nächsten drei Platten waren ein Live-Mitschnitt von Brötzmann mit Albert (Mangelsdorff). Da haben wir Equipment gemietet, sind ins Quartier, haben ein bisschen Soundcheck gemacht, alle haben mal reingehört. Während des Konzertes stand ich hinten und hab dem Mann am Mischpult ein paar Tipps gegeben. Hinterher haben wir uns das ganze Zeug angehört, geschnitten, und fertig war das. Nichts Ästhetik. Es war so, wie es war. Ich liebe diese Produktionen immer noch, weil sie in der Lage sind, etwas von der damaligen Konzertsituation, ohne PA und so weiter, da gab es vielleicht ein Mikrophon im Klavier, realistisch rüberzubringen. Man hörte eben, wie die Verhältnisse in solchen Gruppen waren, wie sich die Musiker akustische Lücken suche mussten, um überhaupt hörbar zu sein. Wenn Han explodierte, dann war natürlich sonst nichts mehr zu hören, aus, so. Heute ist das natürlich aufgehoben. Heute will natürlich jeder alles hören. Heute kommt bei jedem Konzert jemand zu uns und sagt: Der Bass ist zu leise. Immer! Das liegt daran, dass alle an diese Pop-Scheiße gewöhnt sind und der Bass da derart dominant ist, dass sie denken, der Kontrabass müsse genauso klingen. Wenn du, so wie wir, mit dem Raum arbeitest, also nur partiell verstärkst, partiell anhebst, um nur bestimmte Sachen belanciert hörbar zu machen. Aber wenn dann ein Trommler wie Baby (Sommer) plötzlich richtig Alarm macht, wohlmöglich auch noch in der tiefen Lage, mit zwei Basstrommeln und Kesselpauke, dann deckt der natürlich jeden Bass zu. Das ist selbstverständlich, das weiß aber auch jeder auf der Bühne. Aber da fangen Missverhältnisse an, die irgendwann auch einen Einfluss auf die Musik haben, klar. Aber deshalb liebe ich immer noch diese alten Produktionen, weil die stimmen. Erst als wir anfingen, mit eigenen Aufnahmegeräten zu arbeiten, konnten wir anfangen zu spielen, in einen Raum gehen und sagen: So, jetzt mach wir mal, probieren mal. Anfangs und auch heute konnten wir uns natürlich kein Studio leisten, das war und ist viel zu teuer.

Markus Müller: Der Workshop oder das Total Music Meeting bemühen sich ja um besondere Veranstaltungsstrukturen, sie sind so angelegt, scheint es, dass die differenzierten Möglichkeiten der Improvisierten Musik durch intelligente Konzepte hörbar gemacht werden. Was das schon immer so?

Jost Gebers: Ohne dass das jemand so richtig gewusst hat, gab es schon in der Anfangszeit die grundsätzliche Überlegung, die Musiker innerhalb des Fünf-Tage-Zyklus' mehrfach auftreten zu lassen. Damals war allen Beteiligten, vor allem den Working-Groups klar, dass Dinge auch mal schief gehen konnten, die Situation war relativ stressfrei. Die Leute waren über eine längere Zeit da und spielten mindestens zwei- oder dreimal. Das heißt, selbst wenn man den ersten Auftritt in den Sand setzte, hatte man noch mal eine Chance. Und für das Publikum gab es das Angebot, zumindest wenn man sich dem ausgesetzt hat, eine ganze Menge darüber zu erfahren, wie diese Musik eigentlich funktioniert. Man konnte mitvollziehen, dass etwas schief ging, man konnte sich eben fragen, was man da eigentlich gestern gehört hatte, heute klingt alles doch ganz anders. Diese Grundüberlegung ist immer noch da. Und es ist auch heute noch spannend, wie eine Gruppe wie das Trio von Alex (von Schlippenbach), die ja heute noch souverän mit ihrem Material umgeht, wie da Steigerungen oder Schwächen bemerkbar werden. Und manchmal, wenn man meint, alles besonders genau mit besonders guten Freunden besprochen zu haben, kann es auch sein, dass man unmittelbar vor einem Konzert den Schock fürs Leben bekommt. Wie 1991 beim Total Music Meeting, als plötzlich unmittelbar bevor es losging, klar wurde, dass niemand auch nur annähernd begriffen hatte, wie das vorgeschlagene Rotationsprinzip auf der Bühne funktionieren sollte. Und wie, nachdem sich alle so langsam herantasteten, diese Idee eine Gestalt bekam, wie ich sie mir großartiger nicht hätte vorstellen können. Am Nachmittag vor dem Konzert wurde ich noch beschimpft. Brötzmann kam an und beschwerte sich, dass die Leute doch nicht vier Stunden spielen können. Also beredeten wir das ganze Konzept noch mal. Und die einzige Vorgabe war ja, dass sich alle halbe Stunde etwas ändern sollte. Man konnte also in Brüchen spielen, überlappend, und so weiter. Um zehn geht's los und um zwei ist Feierabend. So. Jetzt hatten alle verstanden, was vorgedacht war. Und Rashied (Ali) lehnt sich im Stuhl zurück wartet eine Weile und fragt dann: OK, was machen wir denn jetzt heute? Daraufhin sagte ich ihm, dass das jetzt Sache der Musiker sei. Rashied guckte mich völlig verwundert an, guckte in die Runde. Kowald beugte sich zu ihm vor und sagte: Junge, das ist Demokratie. Und Rashied wollte dann auf allen Zeitplänen, die wir vorab erstellten, immer mindestens drei Stunden an einem Streifen spielen. - Außerdem sind diese Veranstaltungen natürlich ein didaktisches Modell. Das vielleicht nicht jeder vor Augen hat, aber das so zwangsläufig ist und vielleicht etwas bewegen kann.

Markus Müller: Im Rahmen des angesprochenen didaktischen Modells konnte auch diskutiert werden, ob man diese improvisierte Musik überhaupt aufzeichnen darf. Hat es Diskussionen um die Plattenproduktion gegeben?

Jost Gebers: mit Paul (Lovens) habe ich gerade eine Riesendiskussion. Es geht um die Produktion der beiden Tage, die du gehört hast (Workshop Freie Musik, Schlippenbach Trio 1991). Es ist so: man kann alles so lassen, wie es ist. Das ist der eine Aspekt. Das kann man bis ins Extreme betreiben. Wie das Han (Bennink) und Misha (Mengelberg) mal betrieben haben: Wir nehmen alles auf und bringen das dann ungeschnitten als Cassette raus, klingt zwar Scheiße, aber egal, wir motivieren Leute, dass sie genauso ein scheußlich klingendes Zeug machen. Das ist die eine Überlegung. Die andere, das ist die, die weiterführt. Da nimmt man ein tolles Equipment, nimmt alles toll auf und lässt es dann trotzdem so wie es war, weil; es ist ja nur so zu spielen gewesen. Meine Haltung ist die, dass das gegessen ist, das Band ist gespielte Musik. Die, die da waren, die haben das so gehört, wie es war und ihr habt es auch so erfahren. Jetzt ist alles aufgezeichnet und wir machen daraus das Beste für dieses Medium, also Platte oder CD. Die beiden Sets, die es da gibt, werden jetzt so auf der CD sein, wie Paul das haben will. Wir können das wegen irgendwelchen Fades auch nicht mehr ändern. Es ist aber so: wenn du das richtig anhörst, muss es genau anders herum sein, Aus musikalischen Gründen und nur, wenn man es sich anhört, nicht wenn man es spielt und das Bewusstsein hat, das Paul, hat, weil er es gespielt hat. Er ist einer von Dreien mit diesem Bewusstsein. Kein anderer, der das hoffentlich hört, kann das nachvollziehen. Alle anderen, die das hören, hoffentlich tausende, die das hören, werden denken, was haben die denn für eine Scheiße gemacht, das muss doch genau anders herum drauf sein. Nämlich eine Steigerung. - Dereks Haltung kriegen wir. Das ist nicht meine. Dass Ding ist abgeschlossen, wenn es gespielt wurde. Sowohl bei einem Konzert, als auch bei einer Sudioaufnahme.

Markus Müller: Und ab 76 hast du das auch entschieden?

Jost Gebers: Partiell. Ich konnte natürlich Sachen machen, die ich vorher nicht machen konnte. Aber die Produktionen, die sich ohnehin selber eingebracht haben, sind dann weiter gemeinsam entschieden worden. Brötzmann oder Kowald haben natürlich ihre Platten machen können, wann immer sie wollten. Aber es sind halt zusätzlich Platten von Leuten aufgetaucht, die mit dem engeren Kreis der FMP nichts zu tun hatten. Bei den Festivals und Workshops war es ähnlich. Aber es ist nie so, dass ich zu Hause sitze und mir irgendetwas ausdenke. Einmal gibt es einen bestimmten Ideenfluss, der sowieso über Jahre läuft, und dann kommunizierst du ja auch ständig mit Leuten, die du fragst, von denen du Antworten kriegst, oder auch nicht. Da fließen dauernd Ideen ein, und wenn du an einem bestimmten Projekt arbeitest, fragt man halt, was machbar ist und was nicht. Viele Leute kannst du nicht so detailliert kennen wie zum Beispiel der Kowald, der in New York gelebt hat und mit den Leuten gespielt hat. Oder: Es ist doch logisch, dass ich, wenn ich ein Posaunenprojekt plane, nicht gerade den Brötzmann fragen werde, sondern dass ich ein paar Posaunisten frage.

Markus Müller: Noch mal zu der konkreten Situation 1976. Es gibt von dir dieses Zitat, dass du, wenn du gewusst hättest, wie viel Arbeit dein Engagement machen würde, du die ganze Sache nie begonnen hättest. 1976 musstest du doch schon gewusst haben, was die Weiterarbeit bedeutet.

Jost Gebers: Ich habe gesagt, dass ich das nicht gemacht hätte, wenn ich 1969 gewusst hätte, was es bedeutet. ´76 standen einige Dinge zur Debatte. Aber, wenn du erstmal in so einer Sache drin bist, dann bist du drin. Dann hat das eine große Faszination. Man fängt an zu überlegen, ob es sinnvoll ist, ganz aufzuhören, so dass alles im luftleeren Raum hängt und unter Umständen gar nichts mehr passiert. Und es ist nach wie vor so: Wenn du dir das ganze Feld ansiehst, ohne FMP wäre die Landschaft ein bisschen ärmer. So. Also muss es weiter gehen. Und sie ist ja reicher geworden, nach ´76, die Szene. Aber in dem Moment, wo du begonnen hast, stellt sich die Frage nicht mehr. Dann ist die Spannung da und ein großer Reiz, weil du ja dauernd irgendwas kennen lernst, was du vorher nicht kanntest. Und das ist das Tollste, was es geben kann. Finde ich, natürlich.

Markus Müller: Es hat immer das Vorurteil gegeben, dass FMP gleich Free Jazz gleich Krach ist. Wenn man die Plattenproduktion durchhört, ergibt sich natürlich ein sehr viel differenzierteres Bild. Buben zum Beispiel, Hans Reichel, Violino und Rüdiger Carl, Concertina ist ja durchaus ungewöhnlich.

Jost Gebers: … tolle Platte…

Markus Müller:…oder Reichels Daxophon-Operetta, sind ja weit außerhalb dieser einfachen Gleichung. Aber was sind die Kriterien für oder gegen ein Projekt?

Jost Gebers: Weiß ich nicht. Darauf kann ich dir keine vernünftige Antwort geben. Ich glaube, die Stärke der Leute oder die Stärke der Story…Buben ist eine so unglaublich tolle Platte, die man sich immer wieder anhören kann und man hört immer wieder neue Dinge und bekringelt sich darüber. Das ist das Maß aller Dinge. Wenn eh nur Zeug runtergespielt wird, es geht nicht darum, dass irgendjemand perfekt sein Zeit runterspult. Das ist irgendwann furchtbar langweilig, weil eigentlich nichts dahinter ist. Das was dahinter ist, die Story, die dahinter ist, das ist das Ding. Manchmal ist es mir gelungen, das herauszufinden, manchmal habe ich ziemliche Scheiße gebaut. Aber diese Story zu finden, ist das spannende Ding. Die Basis der FMP-Geschichte sind viel mehr die Figuren und die Geschichte dahinter, als die Musik, wie immer sie genannt wird. Irgendwann gab es dann auch bestimmte gute Sachen von guten Leuten einfach nicht mehr, weil man immer mehr dahinter hört und diese Sachen dann doch zu konventionell waren.

Markus Müller: Wie kam es zu der außereuropäischen Erweiterung der FMP?

Jost Gebers: Ja, Lacy siehst du als Europäer, ja gut. Da gab es Michael Smith, Noah Howard. An der Plattenproduktion ist nicht die ganze FMP-Geschichte ablesbar, das hat ökonomische Gründe. Wir haben ja zweimal im Jahr in Berlin ziemlich große Dinge gemacht und da spielten immer wieder Amerikaner. Frank Wright, ganz viele Leute. Das muss man zusammen sehen, da fand von Anfang an eine Zusammenarbeit statt. Teilweise hatten zum Beispiel die Amerikaner Geldvorstellungen, die wir nicht erfüllen konnten.

Markus Müller: Es gab ja diese eine, wichtige Zusammenarbeit zwischen einem Amerikaner und der…

Jost Gebers: Dazu will ich dir direkt mal was sagen. Das wesentliche Ding hat offensichtlich keiner, auch du nicht, keiner hat das geschrieben, keiner hat das gehört. Das Taylor in diesem ganzen Zeug, das da gespielt wird, eine völlig andere Musik macht, als in seinen ganzen anderen Produktionen, die er bislang gemacht hatte. Ich bin da so verdutzt, ich habe es neulich wieder gehört und habe gedacht, das gibt's doch gar nicht, dass das keiner gehört hat. Selbst die darauffolgenden Produktionen sind die typischen Taylor-Ami-Produktionen, egal, wo er sie gemacht hat. Und bei uns nicht, und offensichtlich hat das niemand gehört. Das ist für mich das bedeutsamste Ding. Wir konnten diesen Mann in einen freien Raum stellen und er konnte alles vergessen und er hat es auch realisiert. Ja, das wollte ich nur loswerden.

Markus Müller: OK, ich meinte tatsächlich Taylor. Worauf ich hinaus wollte: die Amerikaner, mal knapp ausgedrückt, haben den Free Jazz erfunden, die Europäer haben ihn am Leben erhalten und weiterentwickelt. Jetzt kommt also der große Mann nach Berlin und spielt mit diesen Europäern und die Musik ist einfach fantastisch. Die Kritik reagiert, weltweit angemessen und überschwänglich. Was hat dieses Festival und diese Produktion für dich und für die FMP bedeutet?

Jost Gebers: Wir, ich erzähl`ne Geschichte, es war der Abend, an dem Taylor mit Bennink gespielt hat, nachmittags gab es immer einen Soundcheck. Das war jedes Mal ein komplettes Konzert und ich Idiot habe das nicht mitgeschnitten, das war unglaublich, was da gespielt wurde. Im Anschluss an diesen Soundcheck mit Han, die hatten zwei Stunden gespielt, saßen wir Backstage und haben geredet, kennste noch, weiste noch, alles Mögliche und so. Und dann wollten wir noch was essen. Taylor fuhr mit dem Taxi ins Hotel und Han schnappte sich ein Fahrrad eines Freundes und fuhr mit dem Rad los. In der Situation frage mich der Freund, ich hätte mal auf die Frage, was ich mal machen wollte, gesagt, ich würde gerne ein Projekt mit Tristano, Monk und Taylor machen. Wie fühlst du dich denn jetzt, wenn du das mit Taylor machst? Das war die Realisierung eines Traumes. Gut. Wir hatten zwei Jahre vorher schon ein Projekt mit ihm und haben dabei eine Menge Fehler gemacht. Die habe ich gemacht, die hat er gemacht, die haben andere gemacht, aber daraus konnten wir lernen. Als wir in dieses Restaurant fuhren, war ja schon ganz viel gelaufen und man wusste, dass es riesig gelaufen war, man wusste, dass es riesig weiterlaufen würde. Das ist natürlich ein ganz großes Vergnügen, klar. Aber für mich war das…wie oft hast du die Möglichkeit, unter optimalen Bedingungen, über so einen Zeitraum, mit so einem Mann, ja so, dem Affen Zucker zu geben und zu sagen: nun mach mal. Und der auch offen genug war und genügend Vertrauen hatte, zu sagen: ja, mach ich, will ich.

Markus Müller: Und die handfeste finanzielle Seite dieser Unternehmung? Mein Gefühl sagt mir, diese Box und auch die Euphorie im Umfeld hatten diesen That put you on the map-Effekt. Das verschaffte FMP einen Platz auf der globalen Landkarte. Was hat die Produktion finanziell ausgemacht?

Jost Gebers: Viel. Unheimlich viel. Hat viele Türen aufgemacht. Natürlich weil in allen Medien irgendwas stand. Damit wurden Leute aufmerksam, die uns vorher nicht wahrgenommen haben. Das heißt, die Umsatzzahlen haben sich im Ausland unglaublich nach oben verschoben. Nicht in Deutschland, da kannte man uns. Aber in den USA und in Japan sind die Zahlen unglaublich gestiegen. Aber es war während der Arbeit auch ein extremer Alptraum. Denn: es gibt grundsätzliche Haltungen, ich meine…vereinfacht ausgedrückt:…der Amerikaner guckt nur aufs Geld, dem ist der Impetus scheißegal. Der Europäer kuckt nur auf den Inhalt, wenn ich das gemacht habe, ist das schon in Ordnung. Taylor war nach diesem langen Aufenthalt, er war ja vier Wochen hier, schon sehr beeindruckt, was er alles kennen gelernt hat, wie alles funktioniert hat und wir haben dann mal ganz vorsichtig über diese Idee einer CD-Box gesprochen und er konnte sich das dann auch nicht …ganz…richtig…vorstellen. Und während der Arbeit an dem Material, und das waren ja Massen von Material, da kam immer mehr zutage, was berücksichtigt werden musste, so, also wenn man das schon macht, dann muss aber das und das drin sein und das auch und so weiter. Wir haben dann immer mal wieder telefoniert und er kam dann zur Fertigstellung auch wieder nach Berlin und bis dahin wusste er überhaupt nicht genau…wir hatten immer mal wieder telefoniert…und mal vage über solche Dinge gesprochen. Und man hat mit so vielen Sachen zu tun: schreibste was, ja klar, der liefert aber nicht und so, die Sache wurde immer enger. Es war also über ein Jahr dazwischen, Taylor hatte überhaupt keine Vorstellung davon, was ich hier eigentlich mache. Da habe ich zum ersten Mal mitbekommen, wie so ein Mann berührt sein kann, weil er plötzlich einer Sache gegenübersteht, die er zunächst völlig anders gesehen hat, nämlich unter diesem finanziellen Aspekt. Das ist schon sehr nett. Es war ein ziemlicher Alptraum. Wenn du bei der Arbeit feststellst, dass du jetzt anstatt fünf zehn CD´s anstatt zehn CD´s plötzlich 13 machst, das sind auch finanzielle Probleme. Aber, es hat sich gelohnt, denke ich.

Markus Müller: Um auf das Finanzielle zurückzukommen, die Schwierigkeiten in der, mit der FMP-Musik war immer auch der Vertrieb dieser Musik…

Jost Gebers: Die Schwierigkeit in der Musik ist gut formuliert. Die Schwierigkeit war immer das Geld! Haste Geld, haste auch einen Vertrieb, das ist immer so gewesen und immer so geblieben. Frag mal Paul (Lovens) mit seinem Zeug. Er ist zu klein, auch wenn dadurch sein Kostenfaktor niedrig ist, das Problem ist immer, wie krieg ich das Zeug unter die Leute?

Markus Müller: Aber seit der Taylor-Box scheint es bei euch einen Produktivitätsboom zu geben?

Jost Gebers: Nee, da gibt es zwar keine Duftmarke, aber wir haben eigentlich immer ein Niveau gehalten, 8 bis 12 Produktionen pro Jahr. Im Moment gibt es da zufällig ein Loch, wenn du so willst, weil ich in diesem Sommer die Maschine, an der wir mastern, nicht zur Verfügung habe.

Markus Müller: Hast du Lieblinge in der FMP-Produktion?

Jost Gebers: Ja klar, logisch. Platten oder CD`s

Markus Müller: CD´s.

Jost Gebers: Hans Reichel Solo ist schon so eine Sache, Coco Bolo Nights und Misha (Mengelberg) ist auch so eine, die ich ganz toll finde. Die erste finden alle toll, die andere finde wohl nur ich toll. Oder Kowalds Duo-Sachen, sowohl die CD, als auch die Platten, als auch diese Japan-Platte, das ist ein unglaublich spannendes Zeug. Aber offensichtlich auch schwankend, mal dies mal das. Bei den alten Sachen ist das viel einfacher. Die Brötzmann-Sachen mit Albert, die sind schon fantastisch.

Markus Müller: Wie hat sich denn in all den Jahren die Reaktion der Öffentlichkeit und speziell die Reaktion oder Presse auf die FMP verändert? Heute wird man wohl kaum mehr von einem wohlwollenden 68er Solidaritätsbonus sprechen können.

Jost Gebers: Naja, zunächst mal sind die Leute alle älter geworden, wie wir auch, und haben heute einfach andere Interessen. Die haben ein Haus gebaut und müssen jetzt ´ne Schrankwand einbauen und Brötzmann haben sie ´68 gehört. Und genau so wird gesagt, den kenn ich, hab ich ´68 gehört. Damit ist das Ding gegessen. Das sind die Älteren, die jetzt in ihrem Alter überall da sitzen, wo man in dem Alter zu sitzen hat. Und die Jüngeren kennen es überhaupt nicht richtig, offensichtlich, oder nur ganz wenige. Und das Problem bei dieser Musik ist ja, wie mir scheint, dass man sich mit ihr auseinandersetzen muss. Es genügt eben nicht, sich hinzusetzen, das mal vorbeiflutschen zu lassen und zu denken, aha, prima, sondern man muss sich das anhören und das wollen, glaube ich, nur wenige .Und bei vielen der Artikel, die man dann mal liest, merkt man eben, das da jemand im Schnellverfahren mal reingehört hat und gedacht hat, aha, jaja. Dann hat der die Schublade aufgemacht und hat gemerkt, dass es reinpasst, fertig. Es gibt zu wenige Leute, die sich mit dieser Musik wirklich auseinandersetzen. Ich vermute aber, dass das bei anderer Musik auch nicht besser ist, nur da nicht so auffällt, wie bei unserem speziellen Zeug. Wenn man sich dieser Musik nicht aussetzt, schreibt man eben Blödsinn. In Berlin haben wir darüber hinaus eine ganz besondere Situation. In dieser Stadt gibt es für unsere Art Musik überhaupt keine Medien. Im Rundfunk findet diese Musik nicht statt, in der Presse sowieso nicht. Das war früher ganz anders. Hier saßen qualifizierte Leute, die kompetent über diese Musik geschrieben haben. Mittlerweile entwickelt dieses Phänomen eine gewisse Komik. Es findet ein Konzert hier in Berlin statt. Darüber wird in London oder Tokio berichtet, aber nicht in der Stadt, in der es eigentlich passiert, das hat auch was.

Markus Müller: Dann hat Taylor recht, wenn er sagt, dass es heute gar nicht so wichtig ist, diese Musik zu spielen, sondern dafür zu sorgen, dass diese Musik gehört wird?

Jost Gebers: Ja.

Markus Müller: Wenn man jetzt die Entwicklung der Jazzszene in Deutschland ab 1969 betrachtet, dann ist festzustellen, dass diese Szene ohne die FMP um eine ganze Reihe Initiativen ärmer wäre. Ich kann mir das Kölner Jazzhaus oder die Wiesbadener Improvisierer ohne die Avantgarde FMP nicht vorstellen. Wie ist der Kontakt der FMP zur Zweiten Generation?

Jost Gebers: Gering bis gar nicht. Es gibt das Europe Jazz Network, aber da kann ich nicht mitreden weil ich keine Mailbox und sonstige Computerspielereien habe. Außerdem kann so eine Kooperation ohnehin immer nur partiell funktionieren. Schau dir an, was die Jazzhaus-Leute machen. Natürlich gibt es da Verbindungen zu den Sachen, die wir machen, eigentlich basiert vieles von dem, was zum Beispiel in Köln passiert, auf Ideen, die wir auch propagiert haben, keine Frage. Aber die Kölner hatten natürlich eine ungleich bessere Chance, so etwas umzusetzen, weil sie in Köln ein ganz wichtiges Umfeld haben, hervorragend erreichbar sind und einen riesigen Sender im Background haben. Und das gab es hier zum Beispiel nie. Aber im Prinzip entspricht das, was die machen, oder was die Artist-Leute in Wiesbaden machen, genau dem, war wir von Anfang an formuliert haben. Dass es viele Organisationen wie die FMP geben müsste, die dann in bestimmten Bereichen punktuell zusammenarbeiten könnten. Aber, nimm noch mal die Kölner Leute, die machen halt auch Platten, und schon ist man in einer Konkurrenzsituaton. Selbst wenn das ein ganz anderes Zeug ist, jede Platte mehr verstopft einfach den Markt. Und der Markt wird aufgrund des Massenoutputs immer kleiner . Die Leute haben eben nur eine Summe Geldes zur Verfügung, um sich Platten zu kaufen. Und genau an dieses Geld wollen ja wir! Wir wollen doch nicht, das gibt die Kölner das kriegen, das ist doch klar. Denn unsere Musik ist ja viel wichtiger. Was muss die Saxaophonmafia so viele Platten verkaufen, das ist doch überhaupt nicht nötig. (lacht). Und da fangen die Probleme einer Kooperation an. Wir haben ja, ich glaube es war 1971, versucht, einen solchen Verbund aufzuziehen. Das waren ECM, Incus, Vogel, das war eine Firma, die Fred Van Hove zusammen mit einem Belgier machte, JCOA, Michael Mantler. Wir wollten weltweit das Zeug auf Gegenseitigkeit vertreiben und das ist ganz schnell den Bach runtergegangen. Man kann nur in einem begrenzten Maße gegen den Kapitalismus, wie er damals existierte, anstinken, weil alle Partner in einer ähnlich schwachen Position waren. Die Amis , also Carla (Bley), oder Evan und Derek (Bailey), oder wir, wir standen alle schlecht da. Und wenn einer die Chance hat, seine Sache besser abzusichern, brechen die Leute aus diesem Verbund aus und machen ihren eigenen Kram unter besseren ökonomischen Bedingungen. Wie es überhaupt ein Problem des Musikerkollektivs ist, dass du als Musiker eben nicht nur ein Mitglied des Kollektivs bist, sondern eben auch der Saxophonist soundso, der Bassist soundso, der an seine eigene Karriere, an seine eigene Ideen denkt. Da ist oft sehr schwer zu kooperieren.

Markus Müller: Dann hast du ja mit Paul Lovens und seinen Label Po Torch, oder mit Brötzmann und seinen Produktionen mit Caspar (Brötzmann) oder auf DIW ja auch Konkurrenten im eigenen Stall.

Jost Gebers: Ja. Ich merke das in letzter Zeit schon. Wenn Paule zum Beispiel eine Schlippenbach-Trio-Produktion auf den Markt bringt und wir gleichzeitig in musikalischer Nähe veröffentlichen, dann merkt man das. Die Kanäle sind halt ziemlich ähnlich. Das Zielpublikum ist ja identisch.

Markus Müller: Spielt dann in der FMP eine bewusste gesellschaftspolitische Haltung, wir haben vorhin über die 68er geschmunzelt, überhaupt noch eine Rolle, oder diktiert der Markt die Haltung?

Jost Gebers: Wenn die FMP diese gesellschaftspolitische Haltung nicht mehr hätte, würde ich es nicht mehr machen. Es ist immer noch ein Vergnügen, alternative Modelle unter die Leute zu bringen, das macht mir immer noch Spaß. Wir werden nicht mehr so sehr durch die gesellschaftliche Situation gestützt, wie zum Beispiel 1968, und sicher ist unsere Haltung heute auch schwerer wahrnehmbar, das ist klar. Aber für mich und auch für einige der Musiker ist dieser Impetus immer noch sehr wichtig.

Markus Müller: Nachdem du das Taylor-Projekt gemacht hast, Tristano- und Monk-Projekte nicht mehr möglich sind..

Jost Gebers: Mit Tristano hatten wir einen Vertrag für einen Workshop und er ist dann einen Monat , oder so vorher gestorben. Der Urs Voerkel hat ihn damals im Vorfeld noch besucht. Ansonsten gibt es wenig, von dem ich sagen würde, das muss du unbedingt noch mal machen. Vielleicht ein Symphonieorchester, das Charles Ives spielt, auf einer zweiten Bühne die Breuker-Combo und auf einer dritten Frank Zappa. 24 Stunden lang. Mal hören, wer was von wem geklaut hat. Und Sonny Rollins ist noch so ein Ding, was ich ganz toll finden würde. So etwas wie mit Taylor, etwas vergleichbares, fällt mir nicht ein, denke ich auch nicht drüber nach. Ich würde gerne mal Jackie McLean hören, der muss mal bei uns spielen .ich finde es schon merkwürdig, dass man überall diese Second-Hand-Bebop-Spieler hat, aber der eine Lebende, der auch richtig was entwickelt hat, der ist nicht zu hören. Was man hört, sind Konzepte, auch Vermarktungskonzepte, aber sehr wenig Authentisches, und manchmal denke ich, dass in unserer Authentizität eine große Chance liegt, unmittelbar mit Musik an die Leute zu kommen. Wir haben ja eine zeitlang Konzerte in unserem Studio gemacht. Da konnten so 70 Leute rein und das war ganz hautnah. Da passierten natürlich die tollsten Sachen. ich erinnere mich an einen Abend, an dem Irene (Schweizer) spielte. Und wenn Irene spielt, sind natürlich immer eine Menge Frauen da. Und irgendwann unterhielt sich in der Pause so eine ganze Gruppe junger Frauen mit Irene und eine fragte: Sag mal, was ist das denn überhaupt, was du da spielst. Und Irene begann relativ bedächtig und vorsichtig, überlegend, zu erklären, was sie da macht. Plötzlich sagte eine der Frauen: Sag mal, ist das etwa Free Jazz, was du da machst. So richtig angewidert und Irene erläuterte und erläuterte und eine andere Frau sagte dann irgendwann: Ach, na Free Jazz habe ich mir viel schlimmer vorgestellt. Und so was, dass find ich gut.

Markus Müller: Und der Bassist Gebers?

Jost Gebers: Ach, das ist vorbei, oder ganz drastisch ausgedrückt, ein Bassist mehr oder weniger kann natürlich längst nicht soviel bewegen wie eine Organisation wie die FMP, bei der es um viel mehr geht, als etwa nur um Bassisten. Ich glaube, es ärgert mich ein bisschen mehr als andere Leute, schlechte Bassisten zu hören, aber sonst….

 

Aus: JAZZTHETIK Nr.12/1992 - 1/1993 (Dezember/Januar)

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