Bert Noglik (1989)

Ball Pompös, Arte Povera, Daily New Paradox

Stichpunkte zur FREE MUSIC PRODUCTION (FMP)

 

Bei einer anderen Innung oder gar im gleichen Metier unter anderen Vorzeichen gäbe es eine rauschende Feier, eine Manifestation der Würdigung und Selbstbegutachtung oder gar ein Fest der Selbstbeweihräucherung: Schaut an, wir haben es über zwanzig Jahre geschafft, seid umschlungen mit Sektgläsern, bemustert mit Werbegeschenken, geladen zum Ball pompös.

Nichts dergleichen bei der Free Music Production. Mit dem Prozess der Musik verbündet, geht es nicht an, zum Jahrestag auf die Pauke zu hauen. Manche Jubiläen gleichen ohnehin Gedenkfeiern. Der FMP geht es um alltägliche, langfristige Arbeit, um "The Living Music" - so auch der Titel einer bereits 1969 entstandenen Platte mit einer Gruppe um den Pianisten Alexander von Schlippenbach. Nun sind zwanzig Jahre beharrlicher Aktivität gewiss keine Episode mehr. Ein eingefahrener Kulturbetrieb kann gut mit Episoden umgehen; sie passen zum Wechsel der Moden, lassen sich abfeiern und schaffen durch schnellen Verbrauch Platz für die nächste Kollektion. Eine Musik, die sich über zwanzig Jahre entwickelt, vertieft und verbreitert hat, lässt sich nicht mehr als vorübergehende Erscheinung, als temporärer Ausbruch abklassifizieren. Die geleistete Anstrengung wird zur permanenten Herausforderung. Die Musik, diese Musik ist lebendiger denn je zuvor.

Welche Musik? Es geht um den europäischen Free Jazz, dem die FMP ihre Existenz verdankt. Aber die Aktivitäten der FMP spiegeln weder den gesamten europäischen Free Jazz, noch lassen sie sich auf einen mit Free Jazz etikettierbaren Bereich reduzieren.

Nüchtern betrachtet: In den zwanzig Jahren ihrer bisherigen Existenz hat die FMP kontinuierlich Konzerte, Workshops und Veranstaltungsreihen organisiert sowie rund zweihundert Platten produziert. Aufstellungen nach unterschiedlichen Kriterien anzufertigen, wäre ein lohnendes Feld für Statistiker.

Emphatisch besehen: Die FMP hat durch fortwährende Präsentation dazu beigetragen, die europäische Improvisationsmusik lebendig zu halten. Ihre Plattenveröffentlichungen sind wesentlicher Bestandteil einer ständig wachsenden Enzyklopädie dieser im besten Sinne "neuen" Musik. (Sie ist innovativ im Sinne künstlerischer Entwicklung, weil sie eigene Traditionszusammenhänge auszuprägen vermag. Eben darin unterscheidet sie sich vom flatterhaften Charakter der Moden.)

Die Veränderung von starren Kategorien in bewegliche Begriffe, in wandelbare Muster und dem Prozess folgende, ihn begleitende und befördernde Aktivität ist Merkmal wesentlicher Umwälzungen. Mögen dem Free Jazz verbundene Musiker stilistische Gemeinsamkeiten erkennen lassen, so zielt die Bewegung über solche Festlegungen und Feststellungen hinaus. Unmöglich, die Plattenproduktion der FMP unter einem Obergriff zusammenzufassen.

Spielhaltungen erscheinen wesentlicher als Stilmerkmale. Jost Gebers, Motor der FMP, hat das so ausgedrückt: "Für mich ist es notwendig, die Persönlichkeit zu spüren, von der Story berührt zu werden. Heute gibt es mehr und mehr Easy-listening-Musiker, so eine Art Musiklehrermusik. Die können alle gut spielen, aber haben nichts mitzuteilen, keine Geschichte mehr zu erzählen."

Geschichte meint freilich nicht Umsetzung einer Prosaidee ins Musikalische, vielmehr Übereinstimmung von Musikerpersönlichkeit, Erfahrung, Lebensprozess und musikalischer Expressivität. Das kann sich in rhapsodischen Balladen ebenso äußern wie in feinnervigen Strukturen. Man vergleiche Peter Brötzmann "14 Love Poems" oder Steve Lacy/Evan Parker "Chirps".

Free - das ist also schon das äußerste an Offenheit, was denkbar ist. Scheinbar nur ein Wort, so oft missbraucht und noch immer mit sentimentalen Hoffnungen besetzt. Widersprüchlich ausdeutbar wie alle Abstrakta. Frei wovon? Gewiss doch von den überlieferten Schemata im Jazz oder sonst wo? Alles zu nutzen, was musikalisch/persönlich/gemeinschaftlich Sinn macht. Frei also auch für den Rückgriff. (Freier als frei kann man nicht spielen, hat Franz Koglmann mal formuliert.) Für die FMP gilt Improvisation als wesentliches Medium musikalischer Freiheit, allerdings nicht als der allein seligmachende Weg; und die Produktion mit komponierten Stücken deuten bewusst andere Möglichkeiten an, ins Freie zu kommen.

Music first, könnte ein unausgesprochener Wahlspruch der FMP lauten. Die Musik sich entwickeln zu lassen, keinen irgendwo hinzudrängen, mit anderen Ideen oder Inhalten zu verkuppeln, zählt zu den unbestreitbaren Stärken der FMP. Solcher Purismus verbietet das Zurechtbiegen von Musik nach "Produzenten-Konzepten" und verhindert, die musikalischen Aktivitäten außermusikalischen Bewegungen dienstbar zu machen. Freilich geht es immer um einen Bezug zurzeit; und es ist wohl auch nicht ganz zufällig, dass die FMP in der gesellschaftlichen Umbruchstimmung der späten sechziger Jahre entstanden ist. Musik, die der permanenten Dauerberieselung trotzt, könnte man a priori kritisch nennen. Doch auch das ist wieder eine sehr hohe Abstraktionsstufe. Die Mitteilungen reichen von musikalischen Eingriffen ins Soziale bis hin zum Spiel mit Elementen individueller Mythologien, von den frühen Eisler-Adaptionen improvisierender Musiker über Brötzmanns Alarm Orchester bis hin zu den Akkordeon-Dialogen von Rüdiger Carl und Sven-Åke Johansson. Es sind jeweils andere Geschichten, und sie werden jeweils anders erzählt, aber sie sind gleichwohl von Belang. Seit einiger Zeit veranstaltet die FMP im eigenen Studio Konzerte unter dem Titel "Just Music". Das ist es. Nicht jeder, der einen Handstand macht, legt damit ein künstlerisches Zeugnis ab. Aber wenn Misha Mengelberg und Han Bennink "Eine Partietischtennis" spielen, geht es letztlich weder um Sport noch um Akrobatik, sondern um lebendigen musikalischen Ausdruck. Just Music. Punktum.

Production. Was so sehr auf den Moment setzt wie musikalische Improvisation, widersetzt sich den Konventionen des herkömmlichen Konzertbetriebes ebenso wie den Reglements einer auf Geschlossenheit bedachten Organisation. Andererseits vermittelt sich improvisierte Musik nicht voraussetzungslos. Sie braucht wie jede andere Kunstform Förderer, Vermittler, Veranstalter. Nur eben mit dem Unterschied, dass es besonderen Fingerspitzengefühls bedarf, für die Entfaltung dieser Musik geeignete Bedingungen zu schaffen. Etwas nicht Voraussagbares zu planen, etwas nicht Organisierbares in Szene zu setzen, etwas im Grunde nicht Fassbares festzuhalten - darin besteht das sich für die FMP täglich neu stellende Paradox (ich bediene mich hier frei interpretierend eines Plattentitels der Friedemann Graef Group: "Daily New Paradox"). Derek Bailey schreibt: "Improvisation verzichtet auf vorbereitende oder dokumentierende Nebenprodukte und ist ganz und gar eins mit der nichtdokumentarischen Natur der musikalischen Darbietung". Das ist wohl wahr, hat aber auch Derek Bailey nicht davor zurückgehalten, seine eigene Musik auf Schallplatten zu dokumentieren, gar langjährig das eigene Schallplattenlabel "Incus" zu betreiben. Zwar impliziert der improvisatorische Prozess keineswegs die dokumentarische Auf- und Nachbereitung, doch die Rezeption, Verbreitung und Entwicklung improvisierter Musik wäre ohne die Produktion von Klangdokumenten wesentlich eingeschränkt. Das betrifft sowohl den Kreis der Zuhörer als auch die Vielzahl von Feedbacks auf die Musikentwicklung selbst.

Zur Genesis der FMP sei einiges noch einmal stichwortartig zusammengefasst. Erste gemeinsame Aktivitäten improvisierender Musiker reichen bis ins Jahr 1966 zurück. Peter Brötzmann und andere assoziierten sich vorübergehend mit der Idee zu einer "New Artists Guild". Im Sommer 1968 kam es parallel zu einer aufgeblähten Veranstaltung unter dem Titel "Jazz am Rhein" zu selbstorganisierten Konzerten improvisierender Musiker in einer Kölner Tiefgarage. Kurz danach, während der Essener Songtage, entstand der Plan, während der Berliner Jazztage eine Art Alternativ-Festival zu veranstalten. Das erste Total Music Meeting, das im November 1968 auf der Bühne des "Quasimodo" stattfand, begründete eine seither alljährlich wiederaufgenommene Konzertfolge. (1969 im "Litfass", seit 1970 im "Quartier Latin".) Im Laufe der Jahre ging es weniger um eine "Gegen-Veranstaltung", vielmehr um eine Ergänzung zum Festival in der Philharmonie. Wesentlich bereits am ersten Total Music Meeting erscheint, dass es von den Musikern selbst organisiert wurde und im Ansatz bereits eine Internationale der europäischen improvisierten Musik vorstellte. Peter Brötzmann spielte beispielsweise in einer Gruppe mit Evan Parker, Paul Rutherford, Fred Van Hove und Han Bennink. Im Manfred Schoof Quintett war John Stevens auszumachen; Gunter Hampel trat gemeinsam in einer Gruppe mit John McLaughlin auf; das Globe Unity Orchestra und das Spontaneous Ensemble waren zu hören; in der Donata Höffer Group spielte ein Bassist, dessen Name später für die FMP stehen sollte. Jost Gebers.

Ostern 1969 gelang es, in der Berliner Akademie der Künste eine Veranstaltung zu organisieren, die ebenfalls zur alljährlichen Tradition werden sollte: der Workshop Freie Musik. Im ersten Jahr hieß das Unternehmen "Three nights of living music and minimal art", und es endete beinahe mit einem Eklat, weil die Mentalitäten von Blues-Fans (neben improvisierenden Musikern stand auch die Alexis Korner Band auf dem Programm) und den an den neuen musikalischen Entwicklungen interessierten Zuhörern aufeinander prallten. Auch einige der Edelstahl-Kunstobjekte wurden zweckentfremdet als Schlag-Instrumente oder Sitzgelegenheiten missbraucht. Als Erkenntnis sprang die Notwendigkeit heraus, den Kreis der beteiligten Musiker feinstens aufeinander abzustimmen. Die Akademie der Künste hielt dem Anliegen die Treue; und die FMP konnte im letzten Jahr zum 20. Workshop Freie Musik eine Vielzahl internationaler Saxophongruppen vorstellen.

Im September 1969 kam es dann zur Gründung der FMP. Kein Verein, keine Gesellschaft, geschweige denn eine Firma sollte es sein, sondern eine Kooperative. Mehreres erscheint im Nachhinein wichtig, festgehalten zu werden: die FMP erwuchs dem Bestreben der Musiker, ihre Konzerte selbst zu organisieren und ihre Platten selbst zu produzieren. Der kollektive Anspruch kollidierte bei den praktischen Gehversuchen nicht selten mit den divergierenden Interessen der beteiligten Musiker. Die treibenden Kräfte der FMP waren von Anfang an und über einen langen Zeitraum Peter Brötzmann und Jost Gebers.

"European Echoes" mit dem Manfred Schoof Orchestra, aufgenommen im Juni 1969, war die erste Schallplatte, versehen mit dem Zeichen der FMP, die erschienen ist. Das Schoof Orchestra inkorporierte gewissermaßen drei der wichtigsten Improvisationsgruppen jener Zeit: die Musiker des Peter Brötzmann Trios, des Manfred Schoof Quintetts und des Irène Schweizer Trios. Als zweite FMP-Platte entstand dann 1970 "Balls" mit dem Trio Peter Brötzmann/Han Bennink/Fred Van Hove. Jost Gebers erinnert sich, dass am Tag vor den Aufnahmen ein Konzert in einer Berliner Kneipe stattfand. Zu spät glaubte man bemerkt zu haben, dass der Veranstaltungsort ungünstig gewählt schien. Ganz in der Nähe besagter Kneipe befand sich eine riesige Baustelle. Und so mischte sich das Free-Jazz-Publikum mit einer beträchtlichen Anzahl muskelbepackter Bauarbeiter. Letztere hätten das Konzert leicht zum Kippen bringen können; doch das Gegenteil war der Fall: was ausbracht, war ungeteilte, helle Begeisterung. So etwas passiert wohl selten, aber auch in neuerer Zeit kommt es vor, dass Leute, die eher zufällig zu den Konzerten kommen, an der Musik Gefallen finden und sich für sie zu interessieren beginnen. Die Begegnung mit der Musik lässt sich nicht planen. Die Begegnungsmöglichkeit bedarf der Organisation. Daily New Paradox.

Die FMP setzte und setzt fort, was von Musikern eigenverantwortlich angestrebt worden ist. Drei Platten, die Musiker selbst produziert haben, sind bereits in der Anfangsphase von der FMP in ihren Katalog übernommen worden: "For Adolphe Sax" mit dem Peter Brötzmann Trio, "Machine Gun" mit dem Peter Brötzmann Octet und "The Living Music" mit einer Gruppe um Alexander von Schlippenbach. Geht es in der Musik um Klänge und nicht um Worte, und entstehen verbale Titel oftmals wegen der Abrechnung bei der Gema und nicht aus innerer musikalischer Notwendigkeit, so könnte "The Living Music" doch ein gutes Motto für den viele, viele Dutzende Platten umfassenden Gesamtkatalog der FMP abgeben. "Keep Music Live", Wahlspruch der englischen Musicians' Union, ist eine Zielsetzung, der die FMP all ihre Aktivitäten zuordnet, auch wenn sie nicht bzw. nicht mehr als eine allumfassende Solidargemeinschaft gedacht und betrieben wird.

Das große Ganze und die Spannkraft des Einzelnen. Ende der sechziger Jahre stießen viele Musiker zur FMP. Als sich herausstellte, dass schnelle Erfolge weder zu inszenieren noch zu erwarten waren, sprangen einige wieder ab. Erst Anfang der siebziger Jahre gab es erneut einen kollektiven Aufwind. Die Wuppertaler Musiker um Peter Kowald begannen ihrerseits jährlich Free Jazz Workshops zu veranstalten. Mit "zäher Arbeit und großen Schwierigkeiten ging das so weiter bis über die Mitte der siebziger hinaus" (Gebers). Dann wurde die kollektive Struktur aufgegeben, nicht jedoch der kollektive Anspruch. Die Arbeit blieb bei Jost Gebers hängen und bei denen, die ihm lange Jahre zur Seite standen, vor allem Dagmar Gebers und Dieter Hahne.

Ein Gespräch mit Jost Gebers, das ich im zwanzigsten Jahr des Bestehens der FMP geführt habe, gibt Aufschlüsse über die Dialektik von Einzelkampf und Kollektivität. Frage: Rückblickend könnte man meinen, die FMP ist im Wesentlichen das Werk von Jost Gebers gewesen...

Antwort: "So würde ich es bestimmt nicht sehen. Auch nach der Veränderung in der Struktur der FMP blieb die Zusammenarbeit zwischen den Musikern und mir erhalten. Die beteiligten Musiker werden in die Vorbereitung und Realisierung der jeweiligen Projekte unmittelbar einbezogen. Die Grundprinzipien sind also keineswegs aufgegeben worden. Andererseits stand auch schon vorher Gebers auf dem Papier. Einer musste ja der Bank oder dem Finanzamt gegenüber den Kopf hinhalten."

Zitat Peter Kowald: "Ohne Jost Gebers, der viele Jahre seines Lebens und seiner Gesundheit in dieses Projekt investiert hat, wären wir sehr viel langsamer vorangekommen."

Frage an Jost Gebers nach zwanzig Jahren Arbeit für die FMP: War dir damals, am Anfang klar, worauf du dich einlässt?

Antwort: "Nein, wenn mir das klar gewesen wäre, würde es die FMP nicht geben. Es war nicht im Ansatz übersehbar, was da auf mich zukommen würde. Mancher denkt bei FMP an ein paar interessante Platten. Was dahintersteckt, ist oft nicht vorstellbar: permanente Rangelei um Geld, Kampf um Projekte, Clinch mit Finanzämtern, Aufnahmetechnik, Buchführung, Organisation..."

Doppelstrategie klingt ein wenig militant für Bestrebungen wie die der FMP, denen missionarischer Eifer völlig abgeht. Das eben ist das von außen herangetragene Klischee: eine verschworene Gemeinschaft musikalischer Revoluzzer, die die Ohren der herrschenden Mehrheit verbiegen wollen. Völlig daneben. Und wer wem die Ohren verbiegt, dürfte der Muzak-verstrahlten Öffentlichkeit womöglich allmählich dämmern. Brötzmann hat mal gesagt, es ginge im komplizierten und widerspruchsvollen Prozess improvisierter Musik um Zeit und Arbeit, "bloß die muss man uns machen lassen". Doppelstrategie also zur Selbstbehauptung: Einerseits tritt die FMP als Veranstalter von Konzerten, Workshops und Veranstaltungsreihen in Erscheinung, andererseits als ein diese Aktivitäten dokumentierender und fortsetzender Plattenproduzent. Die Live-Aktivität als Voraussetzung für die Dokumentation und die Produktion als Nachhall vergangener wie auch als Stimulans neuer Begegnung mit der lebendigen Musik.

Prinzipien der Präsentation: Keine außermusikalischen Zwänge; Integration der Musiker in inhaltliche Erwägungen der Vorbereitung; Nähe von Musikern und Publikum; Abbau des Druckes, quasi auf Bestellung etwas Gültiges abliefern zu müssen. Stattdessen: Mehrfachauftritte; Anwesenheit von Musikern über einen Zeitraum von mehreren Tagen; selbstgewählte Spielkonstellationen; Verzicht darauf, den Musikern reinzureden. Jost Gebers hält ein "Klima von Vertrauen" zwischen ihm und den Musikern als eine Grundvoraussetzung; er hasst "karawanenartige Herdenauftritte von hochkarätigen Musikern". Wenn die extremen Belastungen, gewissermaßen unter den Vorzeichen der Stoppuhr musikalische Höchstleistungen zu zeigen, wegfallen, ist die Chance, aus dem Moment heraus Wesentliches entstehen zu lassen, sehr viel größer. Konstellationen von Musikern herauszufinden, die einander in einem Maße entsprechen, dass ein Eklat verhindert werden kann, die sich jedoch in einem Maße herausfordern, dass ein langweiliger Konsens auszuschließen ist, zählt zu den schöpferischen Aufgaben der Veranstalter von Workshops und Konzertreihen. Kreativität wird leider oft mit Kalkül verwechselt. Jost Gebers hat größere Formationen von Musikern nicht nur zusammengesetzt, sondern in musikalischen Prozessen/Gruppierungen tatsächlich zusammengebracht: Pianisten, Posaunisten, Saxophonisten, Gitarristen. 1984 waren es sechzehn Pianisten, 1986 siebzehn Posaunisten, 1989 einige der herausragenden improvisierenden Gitarristen, zwischendurch auch Schlagzeuger, Bassisten, Saxophonisten, Soli, Duos, Trios, Gruppen, Großformationen. Nicht auf die Instrumente, nicht auf die Zahl, nicht auf die Lautstärke, sondern auch die Überzeugungskraft kommt es an.

Die Kommunikation mit dem Publikum möglichst unmittelbar. Die Chance, Musik in ihrem Entstehungsprozess zu verfolgen, Kriterien selbst im Verlauf des Hörens zu entwickeln, die Musiker nicht als unnahbare Produzenten zu erleben, sondern mit ihnen beim Bier über das Gehörte sprechen zu können.

Das Erscheinungsbild der Musik, bei den Konzerten der FMP zumeist offene Bühne ohne Vorhang, bei den Plattenproduktionen überwiegend die auf das Wesen des Musikalischen bezogene Gestaltung der Musiker selbst, erscheint gleichermaßen karg und angemessen. Ungewollt hat FMP ihr eigenes Image kreiert. In meine Klage über den Verlust der Cover-Kultur beim nicht nur Absatzbedingten Umstieg von LP- zu CD-Produktionen mag Jost Gebers nicht einstimmen. Ich bin sicher, die FMP wird sich auch bei ihren CD-Produktionen von anderen Labels abheben - nicht, weil sie auf ein Image hinarbeiten würde, sondern, weil sie, bei allem, was sie tut, auf Stimmigkeit bedacht ist.

Knapp am Rande des ökonomischen Ruins entlang ging es im Laufe der Jahre immer wieder. In einem Flugblatt aus dem Jahr 1983 heißt es: "Die ökonomische Situation war nie überwältigend; alle finanziellen Hilfen mussten mühsam erarbeitet werden.". Zugleich wird der nahende Untergang der FMP dargestellt - nicht als Drohung, sondern als real existierende Gefährdung. Wenn es immer, selbst in scheinbar ausweglosen Situationen, weiterging, so wohl auch deshalb, weil Jost Gebers nicht aufgegeben hat. Frage: Was macht man denn, wenn alles schon kurz vor dem Zusammenbruch steht?

Antwort: "Schwer zu sagen. FMP mache ich ‚nebenbei'. Ich habe überdies einen Acht-Stunden-Job, in dem ich permanent der Wirklichkeit ausgesetzt bin und das Leben hautnah erlebe. Man kommt nicht dazu abzuheben: man bleibt auf der Erde. Man ist sich der Risiken bewusst, der Brüchigkeit. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. In solchen Situationen muss man einfach weitermachen.

Anmerkung: Jost Gebers ist Sozialarbeiter; und er leistet die Hauptarbeit dessen, was FMP ausmacht. Daily New Paradox.

Beispiele. Selbst wenn man sich auf europäische improvisierte Musik beschränken wollte, ist es unmöglich, repräsentativ zu sein. Vieles hängt von persönlichen Verbindungen, auch von privaten Vorlieben, von ökonomischen Möglichkeiten (öfter noch: Einschränkungen). Gelegenheiten und Zufällen ab. Zitat Jost Gebers: "Ich versuche Dinge im richtigen Moment zu machen." Zitat Cecil Taylor: "Zeit kann man nicht besitzen, man kann nur in ihr existieren."

Zeichen setzen, Beispiele geben. Hoffnung darauf, dass andere diese Zeichen lesen können, auf andere Weise exemplarisch zu wirken gesinnt sind. Wer meint, FMP wäre ein in sich geschlossener Zirkel, verfehlt haarscharf die Intention. Das Klischee, man habe es mit einem Häuflein von Sektierern zu tun, beruht bestenfalls auf Unkenntnis, entspringt andernfalls der Ignoranz oder Verleumdung.

Platten zu produzieren ist noch keine Tugend an sich. Mehr und mehr verantwortungsbewusste Musiker sprechen davon, nur notwendige Platten herausbringen zu wollen. Was notwendig ist oder war, lässt sich freilich oft erst im Nachhinein abschätzen. Mag auch nicht jede Platte der FMP unumgänglich gewesen sein, so spiegelt der Katalog doch eine beinahe seismographisches Gespür, Aufnahmen zum richtigen Zeitpunkt zu machen. Erwähnenswert ist auch die Aufnahmeästhetik der FMP, die Dokumente (Bänder, Platten, CDs) möglichst so klingen zu lassen wie die Musik zum Zeitpunkt des Entstehens. Was da beispielsweise zwei- oder mehrstimmig klingt, ist auch so gespielt und nicht im Nachhinein hinzugefügt worden. Und wenn ein Musiker plötzlich laut auflacht oder in Rage etwas zu Boden wirft, dann wird die betreffende Stelle nicht etwa herausgeschnitten, sondern bleibt erhalten als Begleiterscheinung des Spielprozesses, als zugehörig zur Aura der musikalischen Improvisation.

Der Kreis der Musiker, mit denen die FMP arbeitet, ist im Verlaufe der Jahre immer größer geworden. Je nach musikalischer Entwicklung der Einzelnen und je nach Planung konkreter Projekte ergeben sich Annäherungen und Entfernungen zur Arbeit der FMP als Veranstalter und Plattenproduzent. Bei allen Veränderungen sind drei Grundprinzipien, drei Hauptebenen der Aktivität erhalten geblieben. Es ging und geht darum, die Musiker und Musikerinnen zu präsentieren, die diese Musik seit den sechziger Jahren entwickelt haben: der Kreis um Peter Brötzmann, Peter Kowald, Alexander von Schlippenbach, Irène Schweizer, dann auch Rüdiger Carl, Hans Reichel und andere. Jost Gebers spricht "von den Musikern und der Musikerin der ersten Stunde". Überdies war die FMP immer darauf bedacht, etwas für jüngere Musiker zu tun. Nur einige der Erwartungen haben sich erfüllt; immerhin spielen heute Musiker, die später zu dieser Musik gestoßen sind, wie Wolfgang Fuchs, vollkommen gleichberechtigt und souverän mit Vertretern der Begründergeneration. Auf einer dritten Ebene schließlich präsentiert die FMP Musiker und Gruppen aus dem internationalen Umfeld - das kann einmal Steve Lacy sein, ein anderes Mal Marilyn Crispell oder auch Cecil Taylor, um hier nur drei Beispiele zu nennen.

Der Einfluss der FMP auf die Jazzszene in der DDR, besonders in deren Umbruchsphase Anfang der siebziger Jahre, kann kaum überschätzt werden. Mit der FMP assoziierte Musiker wie Peter Brötzmann, Evan Parker, Paul Rutherford, Peter Kowald, Irène Schweizer, Paul Lovens und Rüdiger Carl besuchten Berlin/DDR mit Tagesvisa, um dort mit Musikern aus der DDR zusammenzutreffen und zu heute schon legendären Sessions (montags in der Bar "Melodie" des alten Friedrichstadtpalastes) zusammenzuspielen. Jost Gebers bahnte 1972 Kontakte zum Rundfunk der DDR an, die den Lizenzverkauf von Bändern ermöglichten. "Just For Fun" mit einem Quartett um Ernst-Ludwig Petrowsky war die erste auf FMP verlegte Lizenz-Produktion mit Musikern aus der DDR. Von 1978 an gelang es der FMP, Musiker wie Ernst-Ludwig Petrowsky, Conrad Bauer, Ulrich Gumpert und Günter Sommer wiederholt live auf westlichen Bühnen zu präsentieren und in der Folge auch eigene Aufnahmen mit DDR-Musikern auf Schallplatten zu dokumentieren. Die Reihe "Jazz Now" stand 1979 ganz im Zeichen des neuen Jazz und der frei improvisierten Musik aus der DDR (mit Studio IV, dem Berliner Improvisations-Quartett, Ulrich Gumpert/Günter Sommer plus Manfred Hering, Günter Sommers Hörmusik, dem Friedhelm Schönfeld Trio, der Ulrich Gumpert Workshop Band, dem Hans Rempel Orchester, dem Gumpert-Sommer-Duo und dem Ernst-Ludwig Petrowsky Quartett). Die umfängliche Dokumentation, zwei Schallplatten mit Textbuch bekam den Titel "Snapshot - Jazz Now/Jazz aus der DDR". Von 1979 an kam es dann auch zu Koproduktionen zwischen dem VEB Deutsche Schallplatten und der FMP. Von den drei Platten, die gleichzeitig in der DDR und bei der FMP in Berlin (West) erschienen, sei hier "Touch The Earth" mit dem Trio Leo Smith/Peter Kowald/Günter Sommer hervorgehoben, und zwar deshalb, weil sie programmatisch - das Trio nannte sich auch Chicago/Wuppertal/Dresden - die im musikalischen und geographisch-kulturellen Sinne grenzüberschreitende Tendenz improvisierter Musik manifest gemacht hat.

Die Internationalisierung improvisierter Musik lässt regionale Besonderheiten zunehmend in den Hintergrund treten. Unterschiedliche Aktivitäten verflechten sich zu Netzwerken, ergänzen sich bewusst oder unbewusst. Die FMP wäre überfordert, wollte sie auch nur alle wesentlichen Aktivitäten improvisierender Musiker im deutschsprachigen Raum präsentieren und dokumentieren. Überdies hängt das, was jeweils als wesentlich empfunden wird, auch von persönlichen Neigungen ab. Ohne persönliche Präferenzen ist persönliches Engagement nicht vorstellbar. Die FMP strebt kein Monopol an, vielmehr die Ergänzung ihrer Aktivitäten durch die anderer. Erst indem mehrere versuchen, Beispiele zu setzen, entstehen Netzwerke. Wenn es heute eine fast unübersehbare Vielfalt kleiner Labels gibt, so birgt dies ebenso Tendenzen einer Zersplitterung wie auch einer Demokratisierung in sich. Bereits in den Anfangsjahren strebte die FMP einen Interessenverbund mit anderen Labels wie Incus, ICP und der Jazz Composers Orchestra Association an. Der Ausgang des Experimentes zählt zur Negativbilanz: ein Verband von Musikerorganisationen, gar ein weltumspannender Vertrieb sind nie zustande gekommen. Überhaupt blieb der Vertrieb über Jahre eines der größten Probleme für die FMP. Mit Beginn des Jahres 1989 hat sie ihn wieder völlig in eigene Hände genommen.

Was auf organisatorischer Ebene nur schwer oder gar nicht gelingen wollte, setzte sich im Musikalischen als Selbstverständlichkeit durch: Internationalisierung. Sie ist nicht nur spätes Resultat, sondern immanente Tendenz des Prozesses von Anfang an. Man denke an die beim ersten Total Music Meeting beteiligten Gruppen, an das Trio Peter Brötzmann/Fred Van Hove/Han Bennink, an die Verbindungen zu Irène Schweizer und anderen Schweizer Musikern, zu den Engländern, zu den Holländern, man denke an das Trio Ulrich Gumpert/Radu Malfatti/Tony Oxley oder das Trio Peter Brötzmann/Harry Miller/Louis Moholo... Immer wieder waren es Workshops und Konzertreihen der FMP, die Musiker unterschiedlicher geographischer und musikalischer Herkunft zusammenfinden ließen.

Die Konzerte und Workshops mit Cecil Taylor im Juni und Juli 1988 stellen zweifellos einen Höhepunkt in der zwanzigjährigen Arbeit der FMP dar. Es gelang das Schaffen von Taylor über einen längeren Zeitraum erlebbar zu machen (wie auch umfänglich zu dokumentieren) und gemeinsame Arbeitsprozesse Cecil Taylors mit europäischen Improvisatoren zu initiieren. Waren die "European Echoes" von 1969 auch als eine Antwort auf den amerikanischen Free Jazz zu verstehen, so fanden Stimmen und Klänge nun zusammen. Ein Musiker wie Cecil Taylor hat im Verlaufe seiner Entwicklung unter anderem auch Europäisches assimiliert, jedoch essentiell immer aus den Quellen afrikanisch-amerikanisch-indianischer Kultur geschöpft. Die europäischen Improvisatoren haben ihrerseits Elemente der Jazz-tradition aufgesogen, sind aber über das Jazzidiom im engeren Sinne hinausgewachsen. So ergeben sich neue Berührungspunkte, Verflechtungen, entsteht eine von unterschiedlichen Traditionen genährte neue Musik mit eigenen Energien und Empfindsamkeiten.

Wie viele Veranstaltungen der FMP hat auch die Arbeitsphase mit Cecil Taylor zu über sie hinausreichenden Prozessen und Wirkungen geführt. So hat Cecil Taylor seither wiederholt mit europäischen Musikern zusammengearbeitet, vor allem mit Tony Oxley, der seither mit Cecil Taylor und William Parker regulär im Trio spielt.

For Example heißt eine umfangreiche, von der Free Music Production und der Akademie der Künste herausgegebenen Dokumentation, die 1978 erschienen ist und auf die ersten zehn Jahre der Veranstaltungsreihe Workshop Freie Musik zurückblickt. Im Textteil findet sich ein Statement von Steve Lacy, das heute, mehr als zehn Jahre später, an Bedeutung sogar noch gewonnen hat: "Das wichtigste an der FMP ist die zunehmende Wirkung, die sich einstellt, wenn über 10 Jahre hinweg in jeder Saison neue (progressive, manchmal recht radikale) improvisierte Musik dargeboten wird. Das hat nicht nur in Berlin ein sehr kennerisches Publikum geschaffen, sondern es sind wichtige Einflüsse auf die gesamte Szene in Deutschland ausgegangen und darüber hinaus auf andere Länder, wo Interesse an dieser Art Musik besteht (Frankreich, Italien, Holland, USA usw.). - Die Tatsache, dass ein solches Wagnis Erfolg haben und weiterhin Früchte tragen kann, ist in einer Welt ratlos machender Künstler und skrupelloser Geschäftemacher ein sehr positiver Faktor. Die Integrität der FMP beruht auf den klaren Köpfen und einer Menge Schwerarbeit der Leute, die den Laden führen. Immer ist es darauf angekommen, die Musik (und die Musiker) lebendig zu erhalten und ein starkes Interesse für die Programmauswahl zu wecken."

Aktualität und Geschichte. Auch improvisierte Musik entsteht nicht voraussetzungslos, bezieht sich - bewusst oder unbewusst - auf ihre Geschichte. Den lebendigen Prozess der Musik zu fördern hat die FMP immer im Zusammenhang mit der Dokumentation vorangegangener Entwicklungen gesehen. Manche Platte entstand durchaus aus "musikhistorischem Bewusstsein" - das betrifft nicht nur die von der FMP aufgenommenen, sondern - in Einzelfällen - auch die Veröffentlichungen von Bändern, die bereits entstanden waren, bevor die FMP gegründet wurde. Drei Beispiele: "The Early Quintet" mit dem Manfred Schoof Quintett aus dem Jahr 1966, "Early Tapes" mit dem Irène Schweizer Trio aus dem Jahr 1967 und "Santana" mit dem Pierre Favre Trio aus dem Jahr 1968. Jost Gebers: "Das waren frühe, wesentliche Aufnahmen, von denen wir überzeugt waren und die wir zugänglich machen wollten. Überdies planten wir die ersten Aufnahmen des Globe Unity Orchestra und "Nipples", eine frühe Produktion mit Peter Brötzmann in unser Programm zu übernehmen. Beides ist leider an den Lizenzverhandlungen gescheitert." Besagte Platte mit dem Globe Unity Orchestra ist heute kaum mehr auffindbar. Wer aber hören möchte, wie das Globe Unity Orchestra etwa Mitte der siebziger geklungen hat, kann jederzeit auf FMP-Platten zurückgreifen.

Die FMP will den Gesamtkatalog der Schallplatten ständig lieferbar halten. Ein schwieriges, mühsames Unterfangen, das vom Verantwortungsbewusstsein den Musikern und dem Publikum gegenüber getragen wird. Wesentliche Entwicklungsphasen der europäischen Improvisationsmusik wären heute ohne die Schallplattenproduktionen der FMP in ihrer klingenden Erscheinung kaum mehr rekonstruierbar. Einzelne Musiker, wie beispielsweise Peter Brötzmann, sind in ihrem Werdegang auf FMP-Platten dermaßen gut dokumentiert, dass sich der ansonsten so flüchtige Prozess des Improvisierens über einen Zeitraum von vielen Jahren nachverfolgen lässt. Das Tonband-Archiv der FMP stellt einen unschätzbaren Fundus an Dokumenten dar. Doch selbst wenn jemand in der Lage und willens wäre, all das zu hören, bekäme er keinen Überblick. Erstens wäre es notwendig, dann auch bei Incus, ICP, BVHAAST, Bead, Matchless Records, sound aspects, Hat Hut, Intakt, Creative Works, Po Torch, Claxon, Nato, Leo usw., auch bei Enja und ECM ins Archiv zu gehen; zweitens und wesentlicher ist die Einsicht, dass Improvisation ihrem Wesen nach eine momentane, mithin vereinzelte Aktivität darstellt. Die FMP, wie gesagt, setzt auf Beispiele, die sich ergänzen lassen.

Wirkungen sind nicht vorausberechenbar. Manches bleibt scheinbar folgenlos, kommt dann aber als Feedback von weither zurück. Schallplatten können die Funktion einer Flaschenpost einnehmen. Im vergangenen Jahr lernte ich einen Japaner kennen, der alle Besetzungen und Aufnahmedaten von FMP-Platten auswendig kannte. Als ich vor längerer Zeit einen Bekannten in Leningrad besuchte - damals war an Platten aus dem Westen nur unter größten Schwierigkeiten herzukommen -, wusste dieser den Ablauf einer Reihe von FMP-Veröffentlichungen genauer zu schildern, als mancher der an den Aufnahmen beteiligten Musiker dazu in der Lage gewesen wäre. (Allerdings traf ich auch einen westdeutschen Kritiker, der mit Untertönen von Stolz und Ironie anmerkte, keine einzige FMP-Platte zu besitzen.)

Vorurteile haben die Arbeit der FMP wohl stets begleitet. Eines der gängigsten Vorurteile ist die Annahme, FMP-Platten würden alle gleich oder ähnlich klingen: chaotisch und knisplig, jedenfalls wie Klangrelikte aus den sechziger Jahren. Gegen solche Fehlvorstellungen hilft, wie bei allen ideologischen Hirngespinsten, nur der Versuch sinnlicher Annäherung - also, falls man noch dazu in der Lage ist, HÖREN.

Nun ohnehin schon im Verdacht der Apologetik stehend, und weil dieser Beitrag nicht endlos ausgeschrieben werden kann, behaupte ich einfach (und voller Überzeugung): das musikalische Spektrum dessen, was die FMP präsentiert und produziert hat, ist enorm. Auf jeden Fall größer als das des gängigen Opern- und Orchesterrepertoires, entschieden breiter als die Schmalspur der meisten Servicewelllen sowieso. Und es ist abenteuerlicher, origineller und vergnüglicher, sofern man einen Sinn dafür hat und sich auf besagte sinnliche Begegnung einlässt. Nehmen wir nur einmal drei Beispiele aus einer Anzahl jüngerer Veröffentlichungen. "Coco Bolo Nights" mit dem Gitarristen und Gitarrenerfinder Hans Reichel, seltsam schöne Klänge, die durch die Nacht schweben. Oder "Vorn" mit Rüdiger Carl als Akkordeonspieler, Lieder und Improvisationen zwischen Nostalgie und musikalischem Neuland. Oder "Global Village Suite - Improvised" mit dem Altsaxophonisten und Flötisten Danny Davis, dem Geiger Takehisa Kosugi und Peter Kowald am Bass. Weltmusik? Kammermusik? Neue Musik? nicht zu beantworten. Eine FMP-Produktion.

Wem das immer noch nicht weit genug ist (und es kommt ja auf Tiefe an, nicht auf Ausdehnung), der sei auf "Kompositionen für Oboe" mit Burkhard Glaetzner oder auf "5, die sich nicht ertragen können" mit einem, nämlich dem Komponisten / Instrumentalisten / Improvisator Vinko Globokar verwiesen. Ach ja, und dann gibt es ja auch noch "Africa Djolé", Perkussionsmusik aus Afrika, und "Jali Nyama" mit dem Kora-Spieler und Sänger Jali Nyama aus Gambia. Vereinzelte Erscheinungen im Katalog von FMP und SAJ, dem Nebenlabel. Dennoch keine Randposten oder Ausrutscher. Die Nähe zur zeitgenössischen komponierten Musik ist von den Improvisatoren wiederholt selbst angebahnt worden. Man vergleiche Aufnahmen mit dem Globe Unity Orchestra, mit dem London Jazz Composers' Orchestra, mit Joëlle Léandre oder Günter Christmann. Und was die Ausflüge in die Bereiche ethnischer Musik anbelangt, so kommentiert Jost Gebers kurz und bündig: "Die improvisieren doch auch!"

Es zählt zu den Vorzügen der FMP, bei allen Produktionen die Interessen der Musiker zu wahren. Jost Gebers auf die Frage, ob er es manchmal bedauere, nicht mehr selbst am musikalischen Geschehen beteiligt zu sein: "Ich bin es ja immer noch, wenn auch auf andere Weise. Wenn man intensiv mit einem Musiker im Studio arbeitet, kommt mitunter das Gefühl auf, als ob man selbst mitspielen würde."

Konsequenz ist ein untrügliches Kennzeichen für die Arbeit der FMP. Konsequent zu sein kann bedeuten, vieles andere, was auch wichtig wäre, zu vernachlässigen. Manchmal muss es das sogar bedeuten. Qualität hat mit Auswahl zu tun, auch mit Verzicht.

Kontinuität scheint ein Zauberwort musikalischer Entwicklung. Es bedurfte Jahrhunderte, ehe sich in der europäischen Musikgeschichte bestimmte Formen herauskristallisierten. Eine Musik, die vor achtzig Jahren entstand, nennt man noch immer - und zu Recht - Neue Musik. Die improvisierte Musik, deren Förderung und Entwicklung die Aktivitäten der FMP gelten, steht - historisch betrachtet - noch am Anfang. Gemessen an der Lebenszeit der Einzelnen handelt es sich längst nicht mehr um einen Versuch oder eine Episode, sondern um Lebensentwürfe und Lebenswerke, und wie immer bei der Improvisation: um ein work in progress. Verglichen mit den anerkannten Sparten der Kultur, sind die improvisierenden Musiker in ihrer Mehrzahl noch immer mühsam um ihre Existenz ringende Einzelkämpfer. Daran werden auch Jubiläen nichts ändern, und ein Ball pompös war sowieso nicht eingeplant.

aus der Broschüre: 1969-1989 TWENTY YEARS FREE MUSIC PRODUCTION

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