Peter Donisch (1978)

10 Jahre Free Music Production – Berlin

Das 10jährige Bestehen der Free Music Production dürfte Grund genug sein, auch über die „Grenzen“ Berlins hinaus von der Entstehung und Arbeit dieser Musiker-Kooperative zu berichten.

Anlass der Gründung der Non-Profit-Organisation, wie die FMP sich selbstbezeichnet, war das 1. Total Music Meeting im Berliner „Jazzkeller“ QUASIMODO. Diese Konzertreihe galt als Gegenaktion Berliner Jazzmusiker zu den Berliner Jazztagen 1968. Die in musikalischer Hinsicht so erfolgreichen Musikabende, an denen sich neben den auftretenden Künstlern des Anti-Festivals auch solche der „Jazztage“ wie Pharoah Sanders und Sonny Sharrock beteiligten, war Grund genug für Jost Gebers und Peter Brötzmann, das ganze „Unternehmen“ etwas genauer im Auge zu behalten.

So wurde im Jahre 1969 die Musikerkooperative Free Music Production gegründet, einige Zeit später durch ihre starken Initiativen zur „Firma“ erklärt. Ziel des aus den geschäftstragenden Musikern Peter Brötzmann, Peter Kowald, Alexander von Schlippenbach, Detlef Schönenberg, Günter Christmann, Rüdiger Carl, Irène Schweizer, Paul Lovens, Hans Reichel und dem Geschäftsträger Jost Gebers bestehenden Zusammenschlusses ist laut einer Mitteilung jener Leute: „Zeitgenössischen Jazzmusikern und Komponisten von der kommerziellen Musikindustrie unabhängige Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und durch geeignete Präsentation dem Hörer einen informativen Überblick über die neue Jazzmusik zu ermöglichen.“

Im Laufe der Zeit wurden Konzeptionen entwickelt, die im großen Rahmen gesehen zumindest in Deutschland einmalig waren. Andere selbstproduzierende Jazz-Musiker verwendeten zwar ähnliche Arbeitsweisen, scheiterten aber an der „jeder-für-sich-Methode“. Besonders war an der konsequent durchgeführten Arbeitsmethode zu bemerken: Dem Außenstehenden wird ein Über- und Einblick in die Arbeit der FMP gegeben (sogar Bestandsaufnahmen werden veröffentlicht, gemeldeter Verlust 1974/75 – 40.000 DM / im Jahre 1975 ist es erstmals gelungen, das „Total-Music-Meeting“ ohne finanziellen Verlust durchzuführen); dem Interessenten werden durch Post-Wurfsendungen Initiativen der Geschäftsträger/Musiker mitgeteilt; Die Produktionen des eigens gegründeten Plattenlabels FMP sind nur über den Versand bzw. bei Konzerten zu beziehen; die Startauflagen der Platten betragen nur 500 Stück; rund fünf Wochen nach Aufnahme kommen die Platten bereits in den Versand; höhere finanzielle Beteiligung der Musiker an ihren Plattenproduktionen etc. als bei anderen Firmen, aber auch Beteiligung am Risiko (dies gilt auch für Künstler, die als Nichtmitglieder der FMP Platten aufnehmen); Preise für Konzerte und Platten wurden so gering wie möglich gehalten (so kostet eine LP 17,50 DM); Informations-Freikonzerte werden durchgeführt (in Berlin z.B. in Zusammenarbeit mit dem Amt für Jugendförderung/Senat); alle Erträge aus Platten, Konzerten etc. werden für weitere Produkte verwendet; Vorträge, Seminare und offene Proben werden angeboten und sogar eigene Aufnahme- und Verstärkersysteme stehen für Auftritte und Aufzeichnungen zur Verfügung. Hier sind Parallelen zu den ausländischen Organisationen ICP/Holland, INCUS/England, JCOA/USA und zur Loft-Szene in den USA erkennbar.

Hervorzuheben sind auch die Konzert- und Workshop-Initiativen der FMP. Im Jahre 1969 wurde erstmals in Zusammenarbeit mit der Berliner Akademie der Künste, die Räume, Mitarbeiter und finanzielle Mittel zur Verfügung stellte, ein „Workshop Freie Musik“ zusammengestellt. Dieses Musikertreffen „feierte“ in diesem Jahr 10-jähriges Bestehen.

Die Konzertaktivitäten wurden von Berlin auf viele Städte der BRD und sogar bis ins Ausland ausgedehnt; so war zum Beispiel das Globe Unity Orchestra auf Festivals wie Moers und Chateauvallon zu hören, gastierten Brötzmann/Bennink + Schlippenbach/Johansson im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Berlin Now“ in New York und auch die Berliner Jazztage zeigen reges Interesse an den „freien Musikern. Letzteres beweist, dass jetzt nach 10 Jahren des Bestehens der Kooperative, Branche wie auch Presse von ihrer Nichtbeachtung zurücktreten und mehr und mehr Interesse an der FMP zeigen. Im Jahre 1975 schien der Bellaphon-Importdienst eine große Marktlücke entdeckt zu haben und übernahm das FMP-Plattenlabel in seinen Vertrieb. Doch das große Geschäft, das sich Bellaphon wohl versprach, blieb bis heute aus. Die FMP wird zwar ihren Schuldenberg durch den besser funktionierenden Auslands-Vertrieb der großen Plattenfirma abgebaut haben, die Produktion selbst jedoch blieb ihren alten Vorsätzen treu.

Der Musikerzusammenschluss hat sich als Notwendigkeit erwiesen, da die deutschen Avantgardemusiker von der Industrie arg umgangen wurden. Andererseits könnte man der FMP eine eigensinnige Arbeitsweise vorwerfen oder die ablehnende Haltung anders arbeitender Musiker und Organisationen einnehmen. Dies ist mit Sicherheit nicht der Fall.

Seit 1968 bestehen internationale Kontakte, teilweise auch zu Künstlern, die bei großen Verlagen unter Vertrag stehen. Viele Produktionen wurden mit Albert Mangelsdorff, Manfred Schoof, Gunter Hampel, John Stevens und Willem Breuker abgeschlossen. Ständige Verbindungen bestehen zu den englischen Organisationen INCUS, EMANEM und der „Musicians co-op“ in London sowie zu den Holländern ICP und BVHaast. Die Kontakte gehen bis Frank Wright und Burton Greene. Auch Karl Berger nahm eine Solo-LP für die FMP auf. Schwierigkeiten gibt es noch bei der Zusammenarbeit mit dem New Yorker „Jazz Composers Orchestra“ wegen der völlig differierenden Situation. Unüberwindbar sind anscheinend die Probleme mit Musikern aus dem anderen Teil Deutschlands. Es war bisher nur möglich, Schallplattenproduktionen mit den Künstlern aus der DDR zu realisieren. Auf Live-Konzerte muss das Publikum im Westen immer noch verzichten. Die Gründe für die relativ schlechten Beziehungen sind eindeutig politischer Eigenschaft. Trotzdem wird weiterhin daran gearbeitet, die Kontakte mit den DDR-Musikern zu vertiefen und weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit; insbesondere Beteiligung an Konzerten und Workshops, zu erschließen.

Auch zum 10. Workshop der Freien Musik in diesem Jahr scheiterten die geplanten Auftritte des Ernst-Ludwig Petrowsky Quintetts. Die Behörden in Ost-Berlin hatten den Musikern keine Ausreisegenehmigung erteilt. Neben dieser Programmänderung war auch zu bedauern, dass die Konzerte an fast allen Tagen sehr gut besucht waren. Dazu sei bemerkt, dass die Auftritte in den großen Räumen der Akademie der Künste unter optimalen Bedingungen für Musiker und Publikum stattfanden, was in diesem Fall keine Bestuhlung im großen Raum mit offener Bühne bedeutet. Diese zwanglose Durchführung, die zugängliche Bühne und die Möglichkeit, den Saal jederzeit verlassen und betreten zu können, wurde dem interessierten Zuhörer und den Musikern zum Verhängnis. Die dringend erforderliche Konzentration, die hier gebotene Musik vom Zuhörer fordert, wurde durch das Benehmen vieler Besucher gestört. Auch Zwischenrufe gehörten bedauerlicherweise zum Tagesprogramm. Hier wird sich die FMP künftig etwas einfallen lassen müssen.

Seit der Gründung dieses Workshops im Jahre 1969 unter der Bezeichnung „3 nights of living music and minimal art“, ab 1970 als „Workshop Freie Musik“ weitergeführt und auf 5 Abende ausgedehnt, blieb die Musikerkooperative nicht tatenlos. Die Programme wurden erarbeitet unter Berücksichtung ganz bestimmter Gesichtspunkte, etwa stilistischer Zusammengehörigkeit. Festgelegte Auftrittszeiten gibt es nicht. Auch sind Solisten wie Großformationen zu hören. Ab 1975 wurden die Abende durch einen Solisten eröffnet. Waren es 1975 Posaunisten, 1976 Gitarristen und 1977 Bassisten, waren es 1978 Saxophonisten. Hier fiel der am 3. Abend auftretende holländische Saxophonist und Klarinettist Willem Breuker durch seine einfallsreichen Improvisationen aus dem Rahmen und fand auch beim Publikum großen Anklang. Die anderen Solisten waren Steve Lacy, Evan Parker, John Tchicai und Peter Brötzmann, weitere Programmpunkte die Formationen Globe Unity Orchestra, Horns, Company, Schlippenbach Quartett, Pilz/Niebergall/Johansson, Schweizer-Carl Duo, Brötzmann/Bennink + Misha Mengelberg, Breuker-Cuypers Duo, Saxophon Solists-Group und Africa Djolé aus Afrika. Diese Musiker traten an den 5 Tagen durchschnittlich in anderer Reihenfolge 2- bis 3-mal auf. Zu den einzelnen Auftritten der Musiker und Formationen sollte man keine sinnlosen Umschreibungen ihrer Darbietungen aufführen. Vielmehr muss erwähnt werden, dass hier alle Gruppen und jeder Solist Strömungen wie Entwicklungen der freien improvisierten Musik und ihrer Arbeitsprozesse hörbar machten. Trotzdem unbedingt erwähnenswerte Höhepunkte: Company mit Steve Lacy, Evan Parker, Derek Bailey, Steve Beresford, Tristan Honsinger und Maarten van Regteren Altena, Irène Schweizer-Rüdiger Carl Duo sowie das 14-köpfige Globe Unity Orchestra, das einen Kompositionsauftrag zum 10-jährigen Bestehen des Workshops vorstellte. Ganz großen Publikumserfolg erzielte Africa Djolé. Diese Gruppe spielte afrikanische Percussions-Musik, die Begeisterungsausbrüche auslöste.

Abschließend sollte man noch erwähnen, dass es der FMP als einzige europäische Musiker-Kooperative gelungen ist, Workshops zu konzipieren und hervorragende, ausreichend informative Überblicke über die Free-Music-Szene zusammenzustellen. Für ihre Einstellung zur improvisierten Musik und der dafür geleisteten Arbeit bekamen Jost Gebers und Co. den Kritikerpreis 1977 des Verbandes Deutscher Kritiker zugesprochen. Peter Brötzmann, Han Bennink und Alex von Schlippenbach wurde der Berliner Kunstpreis 1978, der mit DM 40.000,- dotiert ist, überreicht. Man kann nur hoffen, dass diese Auszeichnungen helfen, die finanzielle Misere des Independent-Jazz Labels in den nächsten 10 Jahren zu überstehen.

aus: Blues Notes # 10, 1978

©
Die Copyrights liegen jeweils bei den genannten Quellen und/oder bei den Autoren.