1968 TMM / "Quartier von Quasimodo"

Marco Neumaier (2008)

Aus dem Beitrag:
Free Jazz und psychedelischer Underground
Beiträge einer emanzipierten deutschen Musikszene zur „intermedia ’69“

(….) Die ästhetische und konzeptuelle Nähe des Free Jazz zur avantgardistischen Kunst beeinflusste die Veranstalter von Intermedia ’69 in ihrer Entscheidung, die Donata Höffer Group zu engagieren. Die Berliner Formation war zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre aktiv und bestand in der Kernbesetzung aus Donata Höffer (Klavier und Violine), Jost Gebers (Kontrabass) und Manfred Kussatz (Schlagzeug). Gelegentlich kam Rüdiger Carl hinzu, der Tenorsaxophon bzw. Flöte spielte und ein eigenes Quintett leitete. 24) Donata Höffer arbeitete zugleich als Schauspielerin. Nach ihrer Ausbildung an der Berliner Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel erhielt sie 1968 Rollen in den Fernsehfilmen Ostern, Berliner Antigone und Die Katze. 25)

Die Donata Höffer Group absolvierte regelmäßig Clubkonzerte in ganz Deutschland, die sie häufig mit bekannten Gastmusikern wie Peter Brötzmann, Manfred Schoof und Peter Kowald bestritt. Das Publikum reagierte gemischt auf die frei improvisierten Konzerte, „die einen waren entsetzt, die anderen waren vergnügt“. 26) Allmählich konnten jedoch im Zuge eines entspannteren Umgangs mit neuen Strömungen in der zeitgenössischen Musik mehr Zuhörer erreicht werden: „Diese spezielle Musik hatte es einfacher in dieser Zeit (die Jahre 1968 und 1969, Anm. d. Verf.) sich durchzusetzen, weil einfach ein Teil der Gesellschaft offen war für Neuerungen.“ 27)

Die Free-Jazz-Szene war ein eingeschworener Kreis, der fernab jeglicher Kommerzialisierung um Anerkennung kämpfte. Ihren Standpunkt vertraten die Musiker offensiv beim „Total Music Meeting“, das vom 7. bis 10. November 1968 stattfand und ein Gegenentwurf zu den parallel veranstalteten Berliner Jazztagen darstellte. Im ortsansässigen Club „Quartier von Quasimodo“, dessen Eingang ein Plakat mit der Aufschrift „Für Jazzkritiker doppelter Eintrittspreis“ zierte, versammelten sich wesentliche Vertreter der alternativen Szene. 28) Neben der Donata Höffer Group spielten dort die Peter Brötzmann Group, Alexander von Schlippenbachs Globe Unity Orchestra, das noch zwei Jahre zuvor an den Berliner Jazztagen teilgenommen hatte, Gunter Hampels Time is Now (u. a. mit dem britischen Gitarristen John McLaughlin, der später bei Miles Davis einstieg und das Mahavishnu Orchestra gründete), das Manfred Schoof Quintett und The Spontaneous Music Ensemble. 29)

Das Total Music Meeting war keine Konzertveranstaltung im herkömmlichen Sinne. Vielmehr experimentierten die beteiligten Musiker in wechselnden Konstellationen und boten dem Publikum einen Einblick in die unterschiedlichen Improvisationsmethoden und Spieltechniken, die zusammentrafen. 30) Dieser Ansatz wurde im folgenden Jahr entschieden erweitert. Die Berliner Akademie der Künste sah anlässlich der Veranstaltung „3 Nights of Living Music and Minimal Art“ vor, neben der Alexis Korner Blues Group auch drei Free-Jazz-Formationen – dem Ed Kröger Quartett, der Donata Höffer Group und dem Alexander von Schlippenbach Nonett – ein Forum zu bieten. Problematisch wurde nur, dass die Blues-Anhänger im Publikum den freien Improvisationen nicht viel abgewinnen konnten, und es kam zu Ausschreitungen, bei denen Teile der ausgestellten Kunstobjekte beschädigt wurden. Trotz dieser verstörenden Erfahrung hielt die Akademie an einer Förderung der Free-Jazz-Szene fest und plante für das kommende Jahr, den „Workshop Freie Musik“ auszurichten. 31)

Im Rahmen der Heidelberger Intermedia ’69 präsentierte Donata Höffer zunächst im Clubhaus der Studentenhochhäuser am Klausenpfad solo am Flügel „eine unglaublich zurückhaltende Aktion, bei der die Eigengeräusche des Publikums die Hauptlinien der akustischen Wahrnehmung bildeten“. 32) Free Jazz und John Cage lagen demnach nah beieinander. Das Trio trat schließlich noch gemeinsam in dem Jazzclub Cave 54 auf. Da es stets spontane Improvisationen spielte, kann das Repertoire dieses Konzerts nicht rekonstruiert werden. Es sollte einer der letzten größeren Auftritte der Formation sein, denn kurz darauf stieg Donata Höffer aus, um sich ganz der Schauspielerei zu widmen.

Jost Gebers und Peter Brötzmann riefen schließlich im September 1969 Free Music Production ins Leben, „(…) eine Non-Profit-Organisation von Musikern, deren Ziel es ist, zeitgenössischen Jazzmusikern und Komponisten von der kommerziellen Musikindustrie unabhängige Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und durch geeignete Präsentation dem Hörer einen informativen Überblick über die neue Jazzmusik zu ermöglichen.“ 33) Dieses Konzept traf den Zeitgeist und konnte sich bis heute halten. 1977 erhielt Free Music Production den Kritikerpreis des Verbandes der deutschen Kritiker. In der Begründung der Jury heißt es u. a.: „Dass heute von einer Avantgarde-Szene des europäischen Jazz gesprochen werden kann, ist also nicht zuletzt Verdienst dieser Musiker-Kooperative und ihres Leiters Jost Gebers.“ 34) (…)

Quellenangaben dieses Ausschnitts:
24) Goetze/Staeck/Gerling (Hrsg.), Intermedia
25) Donata Höffer, Wikipedia
26) Jost Gebers in einem Interview mit dem Autor vom 21.Juli 2008
27) Ebd.
28) Achim Forst, Free Music Production (FMP)
29) Programm des “Total Music Meeting Berlin ‘68”
30) Jost Gebers, Free Music Production (FMP) , in: NZ 140 (1979), S. 250 f., hier S 250
31) Achim Forst, Free Music Production (FMP)
32) Goetze, E-Mail vom 30. Juli 2008
33) Zitiert nach Werner Panke, Mit eigenen Platten gegen mächtige Krämer.
Die „Free Music Production“ macht ihrem Namen alle Ehre, in: Neue Musikzeitung, Nr. 6, 1975
34) Kritikerpreis 1977

aus: Anarchie Revolte Spektakel, Das Kunstfestival „intermedia ’69“, Steidl Verlag

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