FMP-RECORDS (Singles) 1973 - 1991

FMP S 1/2

Peter Brötzmann/Jost Gebers

 

Während des WORKSHOP FREIE MUSIK '71 wurde von uns erstmalig der Versuch unternommen, mit Kindern ohne musikalische Vorbildung zu musizieren. Leider musste es bei dem Versuch bleiben, da weder die Akademie der Künste noch wir als Initiatoren mit so großem Interesse bei Eltern und Kindern gerechnet hatten. Wir hatten mit maximal 150-200 Kindern gerechnet und dafür Instrumentarium aller Art bereitgestellt und waren plötzlich mit 1000-1500 Besuchern konfrontiert.

In der Reihe ,,Kinder und Künste" '72 versuchten wir nun unter besseren Bedingungen, das heißt: mit einer begrenzten Gruppe von Kindern über einen Zeitraum von vier Tagen in der großen Ausstellungshalle, die Erfahrungen des Vorjahres zu erweitern und zu besseren Ergebnissen zu gelangen.

Basis für die Beschaffung des Instrumentariums, mit dem gearbeitet werden sollte, war die Zusammensetzung unserer Gruppe:

Brötzmann - saxofone
Van Hove - piano
Bennink - percussion

Jeder von uns hatte damit einen abgesteckten Rahmen, der folgende Bereiche umfasste:

  • saxofone = atmen = Luftballons und Wurfpfeile, Pfeifen, Plastikschläuche mit unterschiedlichen Mundstücken
  • piano = fühlen, tasten = präpariertes Piano, konventionelles Piano, Transistorradios
  • percussion = Motorik = Trommeln, Becken, präpariertes Klavier, Rahmen, Steine, perkussive Geräuscherzeuger

Die schrittweise Benutzung dieser Bereiche und ihre Verschmelzung sollte einen Aspekt, eine Möglichkeit zeigen mit einer Gruppe von musikalisch nicht vor gebildeten Kindern, von willkürlicher, motorischer Geräuscherzeugung zu gemeinschaftlichen musikalischen Erlebnissen und einfachen Strukturen zu gelangen.

Am ersten Tag, an dem wir das Instrumentarium aller Bereiche zur Verfügung stellten, zeigte sich, dass fast alle Kinder der Gruppe sich hauptsächlich den perkussiven Instrumenten zuwandten. Nach unseren Beobachtungen:

  1. um Aggressionen abzubauen und sich zu befreien
  2. um einfache hörbare und sichtbare Resultate zu erzielen
  3. weil sich bei den Kindern (8- bis 11-jährige) schon gewisse Klischee- und Idolvorstellungen von Musik und ihren Interpreten manifestieren.

Selbst unserem Schlagzeuger gelang es nicht, die monotone Rhythmik zu variieren.

Am zweiten Tag verzichteten wir vorerst auf die Perkussionsinstrumente und arbeiteten in mehreren kleinen Gruppierungen und mit einzelnen Kindern mit den verschiedenen anderen Instrumenten. Dabei mussten wir feststellen, dass sich aus der Gesamtgruppe kleine Kombinationen und Einzelkinder mit Interesse an speziellen Instrumenten und Klängen herauslösten. Im Gegensatz zum ersten Tag wurde zu unserem Erstaunen schon deutlich, dass innerhalb der kleinen Zirkel und der Gesamtgruppe Bemühungen und Absprachen zum Zusammenspiel statt fanden, ein Eindruck, der sich während der folgenden zwei Tage weiter verstärkte.

Wie im Vorjahre mussten wir auch jetzt wieder feststellen, dass das Bedürfnis nach Aktivitäten dieser und ähnlicher Art sehr groß ist. Demzufolge waren trotz der Begrenzung der Gruppe in Große - etwa 12 bis 15 Kinder - und Alter - 8 bis 10 Jahre - schon am zweiten Tag mehr und, was besonders unglücklich war, Kleinkinder in unserem Kreis. Wir waren nicht mehr in der Lage, konsequent mit unserem Konzept weiterzuarbeiten. Bei Gesprächen mit den Kindern am letzten Tag wurde natürlich die Frage nach weiteren Nachmittagen laut und auch mit Kritik nicht gespart. In erster Linie wurde uns von Seiten der Kinder gesagt, wir hätten vielleicht mehr erklären sollen. Die Gespräche und Erläuterungen, die wir während der vier Tage gegeben haben, richteten sich zu sehr an speziell interessierte Einzelne und zu wenig an die gesamte Gruppe.

Nach Abschluss dieser nach unserer Meinung wichtigen und vorbildlichen kunstdidaktischen Reihe der Akademie der Künste müssen wir folgendes Resümee ziehen:
1. Wir Musiker konnten in diesen vier Tagen Erfahrungen sammeln, die sich für unsere eigene Arbeit, in gewissen Bereichen, als nützlich und wichtig erwiesen.
2. Bei dieser Reihe zeigte sich das große Bedürfnis nach anderen, den konventionellen Kunsterziehungsmethoden zum Teil widersprechenden Möglichkeiten.
3. Fragwürdig allerdings bleibt die Effektivität derartiger Kurse, solange nur eine kleine Zahl von Privilegierten davon profitiert. Solange die Gesellschaft solche Dinge nicht als selbstverständliche Möglichkeiten der Kunsterziehung in den entsprechenden Einrichtungen - Kindergarten, Vorschule und Schule - akzeptiert und nutzt, bleiben diese Versuche Schau- und Hörprojekte elitärer Minderheiten.

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