FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 2009

FMP CD 133

Felix Klopotek

 

Das Saxofon-Bass-Schlagzeug-Trio gilt im Jazz und in der Improvisierten Musik als die Powerformation schlechthin: roh, direkt, ungeschminkt, auf das Nötigste reduziert, um ein Maximum an Power herauszuholen. Zwei Namen sind untrennbar mit diesem Trio-Format verbunden: Sonny Rollins, der 1957 den Pianisten beiseite ließ und sich ganz als Saxophone Colossus inszenierte. Und Peter Brötzmann – der in einem solchen Trio 1967 seinen Durchbruch feierte (mit Peter Kowald und Sven-Åke Johansson) und 1978 sein Comeback als kompromissloser Hardcorespieler (mit Harry Miller und Louis Moholo).

Diese Besetzung ermöglicht die Verschränkung zweier Instrumente – klassischerweise der beiden Rhythmusgeber Bass und Schlagzeug –, um so den dritten Instrumentalisten, den Saxofonisten, regelrecht nach vorne zu schieben. Brötzmann und Rollins haben das, jeweils auf ihre Weise, sehr genossen.

Dieses Trio lässt sich aber auch als gleichschenkliges Dreieck auffassen, als eine optimale Konstellation, die großen Reichtum an Interaktionsmöglichkeiten bietet und gleichzeitig ausschließt, dass sich ein Spieler hinter den anderen verstecken kann. Vielleicht lässt sich in der Trio-Besetzung der egalitäre Gedanke der freien Improvisation – die konsequente Gleichberechtigung aller Stimmen – am besten, soll heißen: transparentesten – verwirklichen. Auch hierfür gibt es ein historisches Role Model: Albert Aylers Trio mit Gary Peacock und Sunny Murray (1964/65).

Das ist der historische Aufriss, in dem man Stefan Keune, Hans Schneider und Achim Krämer verorten kann: Ihr Trio folgt eindeutig der Linie der klassischen Ayler-Gruppe. Das mag verwundern, weil man Keunes Spiel in der Regel nicht mit dem Aylers vergleicht. Ganz und gar nicht.

In den letzten zwanzig Jahren, in denen Keune in Rhein-Ruhr-City – jener halb realen, halb imaginären Megastadt, die von Dortmund bis Köln reicht –, in unzähligen Gruppen gespielt hat, wurde er immer wieder in die »englische Ecke« gestellt: konzentriert auf mikroskopische Details, auf die sorgsame Exploration abgezirkelter Klangfelder, nicht interessiert an einer Improvisationshaltung, die auf rhythmische Energie abzielt und der Jazz-Ekstase die Treue hält. Es fällt wirklich nicht schwer, aus seinem Saxofonsound den Einfluss Evan Parkers und vor allem John Butchers herauszuhören. Konsequenterweise hat Keune zwei CDs mit John Russell, dem vielleicht besten britischen Improv-Gitarristen (der bekannteste ist natürlich Derek Bailey) eingespielt (»Excerpts & Offerings«, 2000; »Frequency of Use«, 2002). Ist doch Russell ein langjähriger Partner sowohl Parkers als auch Butchers.

Klar ist: Keune, Schneider und Krämer imitieren nicht das Ayler-Trio (wäre auch absurd). Aber die seinerzeit in die Welt gesetzte Praxis einer horizontalen Improvisation, einer radikalen Offenheit gepaart mit großer Vertrautheit der Spieler untereinander, haben sie verinnerlicht.

Die Stücke dieses Trios folgen einer Linie, einer Art Motiv (nicht zu verwechseln mit einem Thema): Sie entwickeln sich konzentriert, bisweilen akribisch kleinschrittig, schaffen verbindliche Strukturen, an denen sich die Musiker wiederum abarbeiten. Jeder Moment in diesen Stücken wird von ihnen für so wertvoll erachtet, dass er nicht gleich aufgegeben, weggeschmissen würde. Die Musik ist quirlig, nervös, angespannt – was das Gegenteil von verkrampft und fahrig ist. Sie arbeitet sich aus einer Strenge empor und weitet sich mehr und mehr im weiteren Spielverlauf, ein dynamischer Prozess, der ekstatische Formen annimmt, ja geradezu klassisch freejazzig klingen kann! Es ist offensichtlich, dass diese Strenge Ergebnis einer tiefen Vertrautheit ist – bei dieser Musik muss man sich aufeinander verlassen können, sonst zerfällt sie. Keune spielte mit Schneider bereits 1992 eine Trio-Aufnahme ein (damals hieß der Schlagzeuger Paul Lytton), und mit Achim Krämer haben sie schon eine CD vorgelegt (»The long and the short of it«, 2007). Hinzukommt, dass Schneider und Krämer eine jahrzehntelange gemeinsame Spielpraxis verbindet: waren doch beide das Rhythmusgespann im coolen Georg Gräwe Quintett, das vor über dreißig Jahren zwei Alben auf FMP veröffentlichte. Und nebenbei sind auch sie unverzichtbare Größen der Szene in Rhein-Ruhr-City.

Was bei aller Strenge für die Offenheit ihrer Musik bürgt, ist eben jenes horizontale Improvisieren. Anders gesagt: Es ist völlig unbestimmt, wer den Impuls vorgibt. Die Strenge ergibt sich aus dem Spielprozess – nicht umgekehrt. Jeder der Musiker bringt seine Ideen ein, die sich im Verlauf einer Improvisation vermischen, befeuern, gegenseitig verschlingen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Gerade in den 90er Jahren ist in Europa eine Improvisationsschule dominant geworden, die die Simultanität des Unverbundenen propagiert hat: Call-and-Response war regelrecht verpönt, »offensichtliche Interaktionen« innerhalb einer Gruppe galten als unterkomplex. Gemessen an dieser asketischen Haltung klingen Keune, Schneider und Krämer wie eine verschworene Gemeinschaft, vereint im Palaver, dem großen Gespräch.

Das führt schließlich dazu, dass im musikalischen Gespräch die Musiker zu ganz neuen Einsichten kommen: Achim Krämer ist ja ein wunderbar swingender Schlagzeuger, er kann auch Rock, liebt Keith Moon. Trotzdem verweigert er hier die Rhythmuspeitsche, lässt sich beiläufig in die Stücke fallen, scheint manchmal hinterher zu stolpern, was sich aber als kleine Finte seiner improvisatorischen Phantasie erweist, denn im nächsten Moment reißt er die Initiative an sich und treibt die anderen zu einem Powerplay. Hans Schneider stiftet sehr häufig Zusammenhänge, auf sein sattes, einladendes Spiel kann man sich als Mitspieler eigentlich immer beziehen, um in den hitzigen Debatten nicht den Überblick zu verlieren. Aber auch Schneider kann sich verweigern, sich zurückziehen, bis er unmerklich wieder auftaucht und noch die Schlussakzente setzt. Und wenn Keune auf dem Sopranino die Klänge schreddert, in ein Schnattern hart am Rande der Hysterie sich steigert, dann gesellt er sich zu einem dichten Interplay von Schlagzeug und Bass, ohne es zu dominieren und zu übertönen. Je mehr sich bei diesem Trio einer der Musiker zurückzuziehen scheint, desto mehr Aufmerksamkeit zieht er auf sich. Dementsprechend erweisen sich die ruhigen Stücke als besonders intensiv.

»No Comment« besticht dadurch, dass die freie Improvisation etwas ist, was sich entwickelt, dass sie erst im Spielen zu dem wird, was sie ist, dass sie keiner Konventionen bedarf. Das liest sich banal, aber man darf nicht vergessen, dass in den vergangenen zwanzig Jahren gerade die jüngeren deutschen Adepten dieser Musik auf zahlreichen Symposien, Arbeitsgemeinschaften für Improvisierte Musik und Musikermeetings eine Riesenanstrengung unternommen haben, das Wesen dieser Musik theoretisch zu durchdringen (was auf eine Moral der Improvisation hinauszulaufen drohte). Keune, Schneider und Krämer lassen das hinter sich und spielen sich frei. Zwar weckt Keunes spitzes, schrilles Sopranino-Spiel immer noch »englische« Assoziationen, aber sein Alt- und vor allem sein bauchiger, voluminöser Bariton-Sound muss sich nicht länger an Vorbildern messen lassen.

Ihre Musik ist in der Tat so offen, souverän und von einer tiefen Gelassenheit, dass man sie in den großen historischen Bogen einordnen mag – an dessen Anfang Albert Ayler, Gary Peacock und Sunny Murray stehen. Das ist ja die eigentliche Stärke der Freien Musik: dass sich ihre Protagonisten, wie gebrochen auch immer, als Teil dieses Kontinuums begreifen und ihre Tradition nicht verraten.

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