FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1989-2004

FMP CD 44

Hans Rempel

 

Hören wir als Nicht-Afrikaner diese oder eine ähnliche Art von Musik, dann dürften wir längst nicht alles von ihr begreifen und das Begriffene auch nicht vollständig und richtig verstehen, es sei denn, wir hätten eine spezielle und intimere Kenntnis nicht nur von dieser Musik, sondern auch von der gesamten Kultur, in die sie eingebettet ist - am besten durch einen direkten und intensiven Kontakt ,,vor Ort". Denn: eine solche Musik ist stets gebunden gewesen an die verschiedensten außer-musikalischen Aspekte wie Tanz, Maskerade, Pantomime, Prozession usw., integriert in übergeordnete Zusammenhänge, in ,,Veranstaltungen" im allgemeinsten Wortsinn, die das Leben fast total begleiten: Geburts-, Beschneidungs-, Hochzeits-Zeremonien, Toten-, Trauer-, Begräbnis-, Gedächtnis-Rituale, in die verschiedensten Sphären von Arbeit und Unterhaltung. Trotzdem vermag diese akustisch musikalische Komponente, losgelöst aus ihrer ursprünglichen Umgebung, transportiert in fern gelegene geografische Regionen, auch allein zu interessieren oder gar zu faszinieren, wie die Erfahrung zeigt - eine grundsätzlich Aufgeschlossenheit und Neugierde natürlich vorausgesetzt.

Neben diesem ,,bloßen Spaß" am Musikhören, der selbstverständlich immer im Mittelpunkt stehen sollte, existiert ein weiterer Aspekt bei der Rezeption solcher Musik, wird sie außerhalb von Afrika aufgeführt. Amerikaner, mittlerweile auch Europäer und Asiaten haben bereits (ob bewusst oder unbewusst, das sei dahingestellt) eine beträchtlich Menge an "Afrikanischem", an afrikanischen Musik-Elementen mitbekommen, allerdings seltener in ,,Reinkultur", mehr dagegen in einer gebrochenen und verschütteten Form, verändert, variiert und transformiert, meist aber verfälscht, deformiert und nivelliert - vermittelt durch Jazz und durch populäre Musik aus den USA, der Karibik und Süd-Amerika, wo ursprünglich afrikanische Musik in Spuren und Elementen praktisch allgegenwärtig ist und in einigen Bereichen auch eine wesentliche und tragende Rolle spielt.

Hier, in der Musik von AFRICA DJOLÉ, liegen jene ursprünglichen, afrikanischen Wurzeln und Quellen in offener Form vor, sie liegen bloß, unabhängig davon, dass auch sie Mischungen (aber interne, inner-west-afrikanische) darstellen. Aus dieser Tatsache heraus wird das Spielen dieser Musik auch außerhalb ihres eigentlichen Rahmens gleichsam zu einer Notwendigkeit - in Europa zum Beispiel -, nicht, um eigenständige, überwiegend mittel-westeuropäisch fundierte und gewachsene Traditionen (wie etwa die Improvisierte Musik) preiszugeben, sondern um den Blick zu schärfen für jene weltweiten Beeinflussungen und Auseinandersetzungen von Kulturen der verschiedensten Herkunft, wie sie innerhalb des zwanzigsten Jahrhunderts im Gange sind, hier und da für echte Synthesen stehen, aber auch hinter dem Begriff der sogenannten ,,Weltmusik" propagandistisch Unausgegorenes und Halbfertiges, Illusionistisches und Utopisches verbergen.

Dass auch die hier vorliegende Musik von AFRICA DJOLÉ (die bestimmt noch anders klingen würde, könnte man sie in Guinea, in heimischer Umgebung hören) einen Zug dieser komplexen und widersprüchlichen Verwicklungen trägt, offenbart sich am Rande in der Verwendung einer europäischen Mundharmonika, die allerdings nicht so gravierend oder gar traditions-zersetzend in Erscheinung tritt. Im Mittelpunkt des Geschehens steht das typisch schwarz-afrikanische metro-rhythmische Grundmodell (in einer west-afrikanischen Prägung), innerhalb dessen sich vor einem konstanten Hintergrund aus ostinat gespielten Perkussions-Instrumenten ein freier und variabler Part entfaltet, in welchem traditionelle Rhythmen individuell modifiziert werden.

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