FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 1992-2004

OWN 90011

Felix Klopotek

 

"Freedom of Speech" - der Name verweist auf fundamentale Prinzipien des freien Jazz.

Was diesen gegenüber definierten Formen der Improvisierten Musik auszeichnen sollte, war die Emanzipation der Instrumente von ihren traditionellen Rollen als wahlweise Rhythmus-, Harmonie- oder Melodieinstrumente. Motivation und Ziel dieser Emanzipation war nicht die Fetischisierung des Begriffes „frei“ als für sich stehendes Absolutum. „Frei“ sollte bezogen sein auf eine Form der Kommunikation, die über ihre eigene Konstituiertheit Bescheid weiß. Redefreiheit hat aus dieser Perspektive wenig mit der kleinbürgerlichen Attitüde zu tun, jetzt mal endlich sagen zu dürfen, was einem immer schon auf dem Herzen lag. Es ging und geht darum, Regeln des Musik Machens, als konstruierte zu markieren. War diese Verflüssigung kanonisierter musikalischer Verhaltensregeln einmal vorgenommen, bestand die Möglichkeit zu anderen Begriffen von Melodie & Rhythmus zu gelangen. Wenn, um nur ein Beispiel zu nennen, Han Bennink eine überdeutlich akzentuierte Time trommelt, dann nicht, weil sich das für einen Schlagzeuger so gehört, sondern weil es seine Entscheidungsfreiheit repräsentiert. Die befreite Kommunikation in Ensembles, die sich dem Free Jazz und seinen Folgen verschrieben haben, setzt also Reflexion voraus, ein Wissen, das die Dynamik von Egalität, von „Play the Music - Not the Background“ kennt. Dass Egalität ein dynamischer Zustand ist, setzt wiederum den produktiven Umgang mit den Differenzen der Instrumente und der sie bedienenden Musiker voraus. Erst wenn klar ist, dass es sich z.B. bei Saxophon, Gitarre und Schlagzeug um drei völlig unterschiedliche Instrumente handelt, die dann am besten klingen, wenn sie gespielt werden, wie es in keiner Schule steht, kann das Miteinander vernünftig, d.h. den Regeln der Redefreiheit gemäß, gestaltet werden.

Es ist sicherlich prätentiös, die hier vage formulierten Prinzipien freier Musik auf die jeweilige Praxis einer frei improvisierenden Gruppe herunter zu brechen, weil jene Prinzipien untrennbar mit der Praxis verbunden sind, sich nur in dieser und durch diese artikulieren. Freie Improvisation wäre schlicht absurd, gäbe es einen Maßnahmenkatalog zur Verrichtung einer solchen. Die Prinzipien des freien Jazz aus seinem Vollzug herausdestillieren zu wollen, hieße ihn zum Kasperletheater zu degradieren (Erinnert sei an jenen braven, handwerklich perfekten Mainstreampianisten, der für seine Pianoschule Beispiele des Jazzpianos transkribierte und seinen Schülern zur Demonstration vorspielte - darunter befand sich auch eine Improvisation Cecil Taylors.).

Was Redefreiheit im Kontext des freien Jazz ist, lässt sich also nur im Vollzug desselben bestimmen, setzt demnach Redefreiheit bereits voraus. Diese zirkuläre Position ist das faszinierende wie verstörende an dieser Musik. Jegliche Versuche, sie als das NEUE, das ANDERE und per se UNVORHERSEHBARE auszugeben scheitern ebenso wie ihr launisch-perfide Konventionalität und Klischeehaftigkeit zu unterstellen.
Beide Positionen übersehen die Verschränkung von (Kenntnis der) Tradition und (Hingabe an den) Augenblick, von Regelhaftigkeit und deren dekonstruktive Kenntlichmachung als fragile Balance.

Natürlich drängt sich unweigerlich die Frage auf, was das alles mit „Freedom of Speech“, der jungen Berliner Gruppe um John Schröder, Henrik Walsdorff und Uli Jenneßen zu tun hat. Alles und Nichts (zugegeben, eine plakative Antwort).

Alles, weil die Gruppe sich ohne wenn und aber in die freie Improvisation vertieft und sich mit Verve in die Ambivalenzen, Paradoxien und Zirkularitäten dieser Musik begibt. Dabei ist ihre Musik von transparentem Struktur Bewusstsein geprägt - man hört wie die Musiker Motive, strukturale Elemente voneinander übernehmen und diese weiterspinnen, auffächern, umcodieren etc.- das stets auch sein (vermeintliches) Gegenteil, das energetisch dichte Powerplay und eine fast schon lakonische Zersetzung der Strukturen thematisiert.

Nichts, weil die Gruppe IHRE Praxis hat, weil die Musiker IHRE Geschichten mitbringen (zu denen bereits die Geschichten von Geschichten zählen) und IHREN Umgang mit der Geschichte einer über 40 Jahre währenden „Living Music“-Praxis. „Freedom of Speech“ sind weder Epigonen noch Heilsbringer. Sie demonstrieren wie (jüngere) Musiker, souverän um Traditionen und Techniken wissend und dann doch wieder selbstvergessen, ganz auf das Spielen des Momentes konzentriert freie Improvisation verwirklichen, indem sie sie SPIELEN. Als das Selbstverständliche auffassen, was so ungewöhnlich ist.

Darin sind sie ihren überwiegend ebenfalls in Berlin wohnenden Altersgenossen wie Rudi Mahall, Axel Dörner, Olaf Rupp, Frank Gratkowski etc., die tatsächlich alle im gleichen Zeitraum (1963-1965) geboren sind, gleich und unterscheiden sich dennoch in ihrer spezifischen Praxis, die ja nur die von „Freedom of Speech“ selber ist, grundlegend: sie sind in diesem Zusammenhang von jungen in Deutschland lebenden Improvisatoren zu verstehen. Haben aber alles Recht der (Improv-) Welt, in dem Augenblick, wo sie die Bühne betreten, unbedingte Aufmerksamkeit zu fordern.

Redefreiheit setzt nicht nur bei den Differenzen der Redenden an, sie bringt sie auch unverstellt zum Ausdruck, ohne dass sie bezugslos aufgeregt plappernd im Raum stünden. Und hier sei die Analogisierung erlaubt: im Medium des offenen, direkten Austausches, loten Jenneßen, Schröder und Walsdorff die Parameter ihrer gegenseitigen Vermittlung aus, die das kleinteilige, motivische mit dem tranceartigen Puls zusammenbringt und somit die Handschrift dieser Band (sic!) impliziert. Die Vermittlungsarbeit an den internen Differenzen, drückt aber auch die geglückte, weil nicht auf das Epigonale zu reduzierende Kopplung an die Tradition der freien Musik aus: ganz bei sich, aber ohne diese Tradition nicht möglich.

Dazu passt, daß der Name „Freedom of Speech“ zwar nahe liegend auf fundamentale Prinzipien des freien Jazz verweist aber (nach meinem Wissen) es bislang keine Gruppe gab, die sich nach diesem benannt hat.

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